Samstag, 10. Januar 2009

Wie ich die Mujaheddin und Taliban aufgebaut habe

Interview mit Brzezinski

Gefunden und übersetzt von Karl Weiss

Deutsche Originalveröffentlichung

Da Zbigniew Brzezinski nun unter dem neuen Präsidenten Obama wieder zu einem der wichtigsten Berater des US-Präsidenten aufsteigt (was er schon unter den Präsidenten Carter und Clinton war), ist es wichtig, einige der „Heldentaten“ Brzezinskis im Gedächtnis zu behalten, zum Beispiel den Aufbau von islamistischen Krieger-Gruppen (Mujaheddin, im Englischen geschrieben: Mujahideen), dessen er sich in diesem Interview selbst gerühmt hat. Das Interview mit ihm wurde im Original vom französischen Magazin „Le Nouvel Observateur“ geführt und später auf englisch übersetzt bei „counterpunch.org“ veröffentlicht, nachdem es von keinem einzigen US-Medium veröffentlicht worden war.

Barack Obama

Frage: Der frühere CIA-Direktor Robert Gates hat in seinen Memoiren „From the shadows“ geschrieben, die US-Geheimdienste hätten mit ihrer Unterstützung der Mujaheddin bereits sechs Monate vor der sowjetischen Invasion in Afghanistan begonnen. Sie waren zu jener Zeit Sicherheitsberater des US-Präsidenten Carter, also verwickelt in diese Dinge. War das richtig?

Brzezinski: Ja. Entsprechend der offiziellen Version dieser Geschichte, begann die Hilfe für die Mujaheddin durch die CIA im Jahr 1980, also nachdem die Sowjetarmee am 24. Dezember 1979 Afghanistan überfallen hatte. Aber die Wirklichkeit, geheim gehalten bis jetzt, ist völlig anders: Tatsächlich hat Präsident Carter am 3.Juli 1979 eine erste Anweisung unterzeichnet, die Opposition des pro-sowjetischen Regimes in Kabul heimlich zu unterstützen. Noch am gleichen Tag habe ich eine Notiz an den Präsidenten geschrieben, dass diese Hilfe wohl zu einer miltärischen Invasion der Sowjets in Afghanistan führen würde.

F: Trotz dieses Risikos waren Sie ein Befürworter dieser geheimgehaltenen Aktion. Oder hofften Sie selbst, die Sowjets würden in den Krieg eintreten und versuchten Sie zu provozieren?

B: Nein, das nicht, wir haben die Intervention der Russen nicht direkt herausgefordert, aber wir haben bewusst die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie dies täten.

F: Als die Sowjets ihren Überfall auf Afghanistan später damit rechtfertigten, die USA seien im Geheimen in Afghanistan tätig gewesen, glaubte ihnen niemand. Aber, da war ein wahrer Kern dabei. Bereuen Sie heute irgendetwas?

B: Bereuen? Was? Die geheime Operation war eine ausgezeichnete Idee. Sie hat die Russen in die afghanische Falle gelockt und Sie wollen irgendeine Reue meinerseits? Am Tag, an dem die Sowjets offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich an den Präsidenten Carter: Jetzt haben wir die Möglichkeit, der UdSSR ihren Vietnam-Krieg zu bescheren. Tatsächlich hatte Moskau für fast zehn Jahre einen für die Regierung unerträglichen Krieg zu führen, einen Konflikt, der zur Demoralisierung führte und am Ende zum Zusammenbruch des sowjetischen Reiches.

F: Bereuen Sie auch nicht, den islamischen Extremismus gefördert zu haben, ihnen Waffen zur Verfügung gestellt zu haben und Anleitungen für zukünftige Terroristen?

B: Was ist wichtiger für die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des sowjetischen Reiches? Einige durchgedrehte Muslims oder die Befreiung von Mitteleuropa und das Ende des Kalten Krieges?

F: Einige durchgedrehte Muslims? Aber es wurde wieder und wieder gesagt, islamische Fundamentalisten stellen eine weltweite Bedrohung dar.

B: Quatsch! Man sagt, der Westen habe eine weltweite Haltung in Bezug auf den Islam. Das ist dumm. Es gibt keinen globalen Islam. Sehen wir den Islam in sachlicher Weise und ohne Demagogie oder Emotion: Es ist eine der führenden Religionen mit 1,5 Milliarden Anhängern. Aber was haben saudi-arabische Fundamentalisten gemein mit gemässigten Marokkanern, militaristischen Pakistanern, pro-westlichen Ägyptern oder zentralasiatischen säkulären Gruppen? Nicht mehr als das, was die christlichen Länder einigt.

Osama Bin Laden


Anmerkung des „Counterpunch“ zu jener Ausgabe des französischen Magazins, in dem das Interview erschien:

„Es gibt zumindest zwei Ausgaben dieses Magazins: Mit der wahrscheinlichen einzigen Ausnahme der Kongress-Bibliothek, war die in die USA verschickte Ausgabe kürzer als die französische Version. Das Brzezinski-Interview war in der kürzeren Version nicht enthalten.


Anmerkung des Übersetzers:

Das ist natürlich kein Zufall, dass dieses Interview in den Vereinigten Staaten völlig unterdrückt wurde. Es wurde 1998 geführt, als man noch nicht beschlossen hatte, den islamistischen Terror als neuen Weltfeind Nr. 1 zu erfinden. Brzezinski antwortet auf die Frage nach dem islamistischen Terrorismus noch mit „Quatsch“ und der Bezeichnung „einige durchgedrehte Muslims“. Dies Interview war mit der neuen Doktrin nicht vereinbar.
Wichtig auch, dass Brzezinski im Interview den Namen „Taliban“ erwähnt, obwohl anfänglich nur von „Mujaheddin“ gesprochen wurde. Die islamistischen Gruppen, die zunächst unter dem Namen Mujaheddin zusammengefasst wurden, waren nie in einer einheitlichen Organisation zusammengefasst und schon gar nicht unter einheitlicher Führung. Es handelte sich vielmehr um selbständige Gruppen mit den verschiedensten Namen, die durch die massive Unterstützung durch US-Geheimdienste bald aufblühten in Hundertzahl.
Ein Teil von ihnen wurden nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan zu den Taliban, die Brzezinski im Interview ausdrücklich erwähnt, ein anderer Teil wird bis heute unter dem Namen Mujaheddin zusammengefasst, auch wenn sie sich anders nennen, ein weiterer Teil wurde zu den Volksmujaheddin, die heute verstreut in verschiedenen, vor allem westlichen, Ländern leben, ein vierter Teil sind jene Gruppen, die unter der ideologische Führerschaft von Osama Bin Laden (heute im Westen meist unter dem Namen „Al Quaida“ zusammengefasst) zuerst den US-Interessen in Afghanistan dienten, dann in Tschetschenien, schliesslich in Bosnien und dann angeblich plötzlich von Saulus zu Paulus wurden und entdeckten, dass sie nun gegen den Hauptfeind USA zu kämpfen hätten.

Donnerstag, 8. Januar 2009

Wirtschafts- und Finanzkrise - Wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei?

Die Grosse Depression?

Von Karl Weiss

In der Flut von nichtssagenden und hilflosen Artikeln zur aktuellen Wirtschaftskrise gehen manchmal einige Fakten einfach unter. Das betrifft zum Beispiel die Aussage des US-amerikanischen „National Bureau of Economic Research“ (NBER), einer Regierungs-Agentur, dass die US-Wirtschaft bereits seit Dezember 2007 in der „Rezession“ (gemeint ist: Wirtschaftskrise) ist.

Die offizielle Definition der Wirtschaftskrise, von den bürgerlichen Ökonomen meist verniedlichend Rezession genannt, ist die: Sie tritt ein, wenn das Brutto-Inlandsprodukt in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt. Das war in den USA, der die Weltwirtschaft dominierenden Ökonomie (nachdem die Zahlen des zweiten und dritten Quartals korrigiert werden mussten), erst mit der Bekanntgabe der berichtigten Zahlen des zweiten und dritten Quartals 08 der Fall, was im November geschah.

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Dadurch schien die Wirtschaftskrise, die ja scheinbar erst im November konstatiert werden konnte, eindeutig von der Finanzkrise ausgelöst worden zu sein, die ja zum sichtbaren Ausbruch am 15. September mit der Pleite der Lehmann Brothers Bank kam.

Allerdings ist die 2-Quartal-Regel ja nicht eine Hilfe, um den Zeitpunkt des Beginns der Wirtschaftskrise festzustellen, sie wurde vielmehr eingeführt, um nicht zu früh wegen stärkerer Schwankungen „Krise“ zu schreien, was dann tatsächlich zu einem Abschwung führen kann (wenn es auch nicht ursächlich für eine Krise sein kann). Die Regel konstatiert die Krise, sagt aber nichts über den Zeitpunkt des Beginns. Ist die Krise einmal festgestellt, definiert man den Zeitpunkt des Beginns, in dem man die verschiedenen Statistik-Zahlen genau überprüft und feststellt, ab welchem Zeitpunkt es abwärts ging, d.h. wann die Trendumkehr in den Zahlen einsetzte.

Der Rettungs-Plan

Dies hat nun das NBER getan und festgestellt: Der Beginn der Krise, der Zeitpunkt, ab dem alle wesentlichen Daten in den USA auf Abwärtstrend gingen, war im Dezember 2007! Damit aber kann man definitiv ausschließen, dass die Wirtschaftskrise von der Finanzkrise ausgelöst wurde. Eher wäre das umgekehrte denkbar: Die Finanzkrise, die natürlich längst herangereift war, denn niemand konnte ja wohl ernsthaft annehmen, dass mit dem Erfinden von „Derivaten“ wirkliche, wahre Werte geschaffen werden konnten, sie war es, die angesichts der Wirtschaft auf Talfahrt nicht mehr weiter hinausgeschoben werden konnte.

Erinnern wir uns: Bereits im Jahr 2006 stellte einer der Analysten fest: Der Immobilienmarkt der USA befindet sich im freien Fall! Und alle in den Finanzinstituten wussten das. Der Grossteil der „Derivate“ war haargenau auf jene Hypothekenkredite von Immobilien in den USA bezogen. Jede halbwegs vernünftige Person, der die Gier nicht den Verstand geraubt hat, würde nun aus solchen „Derivaten“ aussteigen, auch wenn man damit auf scheinbar leichte Gewinne in jenem Moment verzichtete. Nun, wir wissen heute: Fast alle Banken und andere Finanzinstitutionen wie Versicherungen verhielten sich in dieser Hinsicht nicht wie vernünftige Menschen.

Die andere Interpretation dieses scheinbar völlig wahnwitzigen Verhaltens ist, dass die „Finanzagenten“ sich in Wirklichkeit in vollem Umfang des Risikos bewusst waren, aber gleichzeitig wussten, wenn es zum Ausbruch kommt, kann man die Regierung zwingen, unter dem Vorwand „die Banken zu retten“ die Verluste aus Steuerzahlergeldern zu ersetzen, denn der Schwanz (die Regierung) wedelt natürlich nicht mit dem Hund (dem Kapital).

Auch als eine kleinere Bank aufgefangen werden musste, das war noch im August, hörte anscheinend niemand Warnglocken schrillen. Auch als Fannie Mae und Freddie Mac gerettet werden mussten, das war noch Anfang September: Niemand trennte sich von den zu diesem Zeitpunkt noch scheinbar profitablen Papieren. Erst als die Lehmann Brothers den Bach hinunterging, begann man plötzlich zu reagieren. Aber da kaufte einem schon niemand mehr jene „Derivate“ ab. Sie waren zu „Trash“-Papieren geworden. Da sie aber bei vielen Banken den wesentlichen Teil ihres angelegten Geldes ausmachten, mussten die Banken „Kasse machen“ und Aktien verkaufen. Damit schickten sie die Aktienkurse auf Talfahrt. So verlor der Dow Jones am folgenden Tag 7% seines Wertes, das entspricht weit höheren Werten als an jenem „Schwarzen Freitag“ im Jahr 1929 verloren gingen.

Börsenkurse in der Krise: Dow, Dax und Nikkei von August 2008 bis Oktober 2008

Damit war die Finanzkrise offen ausgebrochen und nun verstärkten sie sich gegenseitig, die Finanz- und die Wirtschaftskrise. Nur war es eben nicht so, dass die Finanzkrise die Wirtschaftskrise ausgelöst hatte.

Damit dauert die Krise in den USA aber nun bereits ein Jahr und das ist mehr als der Durchschnitt aller Krisen seit dem 2. Weltkrieg. Es gab zwar danach auch Krisen, aber die waren von kurzer Dauer.

Die Produktionstätigkeit in den USA ist nach den neuesten Zahlen auf den niedrigsten Stand seit 26 Jahren gefallen. Das sind schwerste Alarmzeichen und man muss davon ausgehen, es wird nicht nur die längste, sondern auch die tiefste Krise seit undenklichen Zeiten.

USA: Arbeitsloser Akademiker, Ende November 2008

Darüber hinaus sehen die Statistiker noch nicht die geringsten Anzeichen in einer Verringerung der Fallgeschwindigkeit in die Krise. Daraus schließen sie, dass die Talsohle bis einschließlich März noch nicht erreicht sein wird. Da die Zahlen aber im Moment extrem steil abfallende Nummern zeigen, würde bis April, Mai oder Juni ein bisher nicht vorstellbar niedriges Niveau erreicht werden.

Deutschland: Auftragseingang der Industrie 2006 bis 10.08

Solche statistischen Untersuchungen werden natürlich nicht an Umfragen festgemacht oder an den Aktienkursen, sondern an ganz handfesten Anzeichen, also der Industrieproduktion, der Bautätigkeit, den neuen Arbeitslos–Meldungen und dem Konsum.

Darüber hinaus wird festgestellt: Wenn die Krise so tief ausfällt, dann wird sie nach allen Erfahrungen nicht schnell wieder in eine Erholungsphase übergehen, sondern eine ausgedehnte Talsohle haben. All diese Anzeichen deuten also auf etwas hin, was eine verdammte Ähnlichkeit mit der „Großen Depression“ hat, die 1929 ausbrach und sich praktisch bis an den 2. Weltkrieg heran hinzog.


Veröffentlicht am 8. Januar 2009 in der Berliner Umschau

Montag, 5. Januar 2009

Christliche Politik ist einfallsreich und klever

Das Wahljahr ist eingeläutet

Von Karl Weiss

Na ist es denn nicht schön? Die CDU/CSU, das sind wirklich christliche Parteien, nicht wahr? Das erfreut das Herz. Und vor allem – sie haben nichts mit Ausländerfeindlichkeit am Hut – nein, wirklich nicht – das wäre ja auch unchristlich. Da ist nur immer diese kleine Diskrepanz: Jedes Mal, wenn einer unserer allerchristlichsten Politiker die allgemein bekannte Tatsache heraus trompetet, dass Ausländer mehr Straftaten in der Bundesrepublik begehen als Deutsche, dann kommt da so ein kleinkarierter Schnösel von der Gegenseite (die Nicht-Christen!) und legt die statistischen Zahlen vor, die belegen, dass bei der Gesamtheit der Straftaten wie auch bei den meisten einzelnen Straftaten die Ausländer weniger beteiligt sind als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.

Singh, eines der Opfer der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Mügeln
Eines der Opfer der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Müggeln

Lediglich bei den typischen Straftaten organisierter krimineller Banden ist der Ausländeranteil leicht über dem an der Bevölkerung. Und das hat auch seine klaren Gründe: In Deutschland wird Bandenkriminalität nicht mehr systematisch verfolgt, sondern nur anhand von Einzelstraftaten, was deren Geschäft bedeutend erleichtert. Deshalb kommen Russen, Italiener und andere Mafia-Gruppen reihenweise nach Deutschland und erfreuen sich einer praktischen Nicht-Verfolgung.

Dass die christlichen Politiker diese Meinung vertreten, hat natürlich nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, nein, weit gefehlt, das ist, weil wirkliche Christen eben gegen Straftaten sind und dann muss man natürlich die der Ausländer zuerst verfolgen, oder etwa nicht?

Nun haben aber die christlichen Politiker entdeckt, wie man die blöden Statistiken austrickst. Ja, die sind nicht nur christlich, sondern auch klever! Zwei der christlichen Politiker, einer von der sozialen mit Namen Ramsauer und der andere von der demokratischen Seite mit Namen Petke, haben DEN Vorschlag des Neuen Jahres gemacht: In Zukunft sollen bei allen Straftaten die Vorfahren der Täter untersucht werden und in der Statistik herausgestellt, wenn irgendeiner dieser Vorfahren aus einem anderen Land kam. So wird man dann schon deutlich machen, was ja das Gefühl schon sagt. Ein guter christlicher Deutscher stiehlt und mordet nicht! Die Ausländer und ihre Nachfolgegenerationen dagegen, das sind ja alles Muslims, wie man weiss, die haben doch die Verbrechen im Blut!

„Nein, nein, wir christlichen Politiker haben nichts gegen Ausländer, aber was wahr ist, muss wahr bleiben.“

Opfer der ausserländerfeindlichen Ausschreitungen in Mügeln
Opfer der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Müggeln

Allerdings kommen da natürlich ein paar kleine Detailprobleme, aber dafür wird man schon eine Lösung finden. Das erste Problem ist, wie viele Generationen zurück man die Reinheit des deutschen Blutes verfolgen will. Am idealsten wäre es, wenn man alle bis zur Völkerwanderung zurückverfolgen würde. Dann würde sich klar herausstellen, in Deutschland wohnen mehr Ausländer als Inländer und dann könnte man endlich klar sehen: Es sind mehr Ausländerstraftaten als die von wirklichen reinrassigen Deutschen.

Nur: das funktioniert nicht, weil fast alle Familien- und Stammbücher im Dreissigjährigen Krieg verloren gegangen sind und man daher davor kaum noch was erforschen kann. Und sagen Sie nun bloß nicht, der Dreissigjährige Krieg sei ein Krieg von zwei christlichen Fraktionen gewesen. Der hatte überhaupt nichts mit dem Christentum zu tun, hören Sie?

Also wäre es angebracht, die Stammbäume zumindest bis zum Ende jenes Krieges, also 1648, zurückzuverfolgen. Dafür wären zwar in den Polizeirevieren insgesamt etwa 800 000 Personen einzustellen, die jene Arbeit der Ahnenforschung der Kriminellen übernehmen, aber damit hätten wir dann doch gleich das Konjunkturprogramm und brauchen uns überhaupt nicht mehr zu streiten. Es würde zig Milliarden kosten und würde eine Menge Arbeitslose von der Straße holen und gleich in die Volkswirtschaft fließen, das ist doch ideal!

Oder wir machen es noch einfacher und verlangen von jedem, der wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt wurde, seinen Stammbaum bis 1648 unaufgefordert abzugeben. Wenn er das nicht tut, ist er Ausländer! Dann wird sich klar herausstellen, die Straftaten werden überwiegend von Ausländern begangen!

„Nein, wir christlichen Politiker haben natürlich nichts gegen Ausländer, aber was wahr ist, muss wahr bleiben!“

Außerdem hat das noch einen anderen wunderbaren Vorteil: Alle jene Hugenotten aus Frankreich, die damals nach Deutschland strömten, würden dann auch gleich als das erscheinen, was sie sind: Ausländer. Alle jenen DeMaizieres und Lafontaines – ganz speziell natürlich die Lafontaines! Wussten wir nicht die ganze Zeit, dass dieser Lafontaine eine obskure Gestalt ist, na sehen Sie!

Und sagen sie jetzt nicht, die Hugenotten seien Christen gewesen, die von anderen Christen vertrieben wurden und in Deutschland Aufnahme fanden, die Hugenottenfrage hat nichts mit dem Christentum zu tun!

Und dann gibt es natürlich noch die Polaken, die im 19.Jahrhundert zu Tausenden ins Ruhrgebiet strömten. Da ist heute fast jeder zweite Nachname auf –ski oder –sky! Na da wird man doch wohl mal insistieren dürfen, das sind doch keine Deutschen! Außerdem wählen die -skys meistens Sozen.

Und kommen Sie mir nicht mit Podolski und Klose, deren Tore wir in der Nationalmannschaft bräuchten, Ausländer ist Ausländer! Überhaupt Klose, was ist das für ein Name, ist doch kein ehrlicher polnischer, oder?

Natürlich kann man die Sache auch vereinfachen und einfach bis zu den Grosseltern gehen: Wer auch nur einen von vier Grosseltern als Ausländer hat, ist Ausländer! Da haben wir allerdings das Problem, dass da die Nicht-Christen kommen werden und sagen, die Nazis hätten so definiert, wer Jude war: Wer auch nur einen Großelternteil als Jude hatte, war Jude. Aber wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns mit den Nazis vergleichen ließen? Ha, wäre doch gelacht. Auf die hetzen wir Henryk Broder und der erklärt, das seien Antisemiten – jawoll, so wird das gemacht!

Aber das mit den Grosseltern hat auch so seine schwache Seite: Die Unterschiede zur jetzigen Statistik werden gering sein und dann haben wir wieder nicht, was wir wollen.

Also bleiben wir doch beim Stammbaum bis zum dreissigjährigen Krieg, das hat doch zu gut gefallen, nicht zuletzt wegen Lafontaine!


Veröffentlicht am 5. Januar 2009 in der Berliner Umschau

Freitag, 2. Januar 2009

Zum neuen Jahr

Nachdenkliches zum neuen Jahr

Von Karl Weiss

Dieses Mal wollte ich eigentlich wieder etwas Aufrüttelndes bringen zum neuen Jahr, so wie letztes Jahr den Weihnachtsartikel (hier: http://karlweiss.twoday.net/stories/4560017/), aber irgendwie kann ich angesichts des Massakers im Gaza-Streifen nur schwer etwas bringen, was das Leiden der Palästinenser dort nicht irgendwie zu relativieren erscheint.

So schreibe ich also etwas Nachdenkliches, einen Gedanken, der mir vor einiger Zeit kam, als ich ein Interview in CNN sah. Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, wann es genau war, aber es hatte einmal wieder einer jener Amokläufer zugeschlagen, die in den USA fast gang und gäbe sind. Eine Schule der Amish war überfallen worden und der Amokläufer hatte mehrere Schüler erschossen. Die Amish sind eine christliche Sekte, die alle modernen Errungenschaften ablehnt und lebt wie im 18. Jahrhundert. Da brachte CNN ein Interview mit dem Vater einer der ermordeten Schülerinnen. Man fragte ihn, ob er für die Todesstrafe für den Täter sei.

Da gab der Vater eine Antwort, die mir bis heute im Kopf herumschwirrt. Er sagte: "Wir müssen versuchen zu verzeihen, sonst wird Gott uns nicht verzeihen."

Ich erinnerte mich da meiner christlichen Erziehung und dass man da bei vielen Gelegenheiten herunterleierte: "...und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern; ..."

Meine Güte, dachte ich bei mir, das ist ja wirklich Teil der christlichen Religion und die Christen müssten eigentlich danach handeln.

11. September 2001

Dann dachte ich: Man stelle sich vor, nur mal theoretisch, nach den Anschlägen des 11. September wäre einer Präsident der Vereinigten Staaten gewesen, der dies gesagt hätte: "Wir werden versuchen zu vergeben, denn sonst wird Gott uns nicht vergeben!"

Ich bin überzeugt, ab diesem Moment hätte die christliche Religion alle anderen ausgestochen gehabt. Die Attraktivität des Islam, des Buddismus, des Hinduismus usw. wäre völlig verblasst vor einer Religion, die auf eine solche Tat mit dem Versuch zu vergeben reagiert.

Ich stelle mir vor, selbst ich, der ich harter Verfechter des Atheismus bin, hätte mich wieder dem Christentum zuwenden können.

Die Frage, welche Religion führend in der Welt ist, wäre ein für alle Mal entschieden gewesen und die Frage des Verzeihens wäre zu einer zentralen Frage im Zusammenhang mit jeder Schuld geworden.

Phantastische Vorstellung!

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Warum war das 3.Quartal 2008 bereits Krise...

...wenn doch der Finanzcrash erst Mitte September geschah?

Von Karl Weiss

Angeblich, so erzählen uns Herr Unsinn, Frau Merkel und andere Schlauberger - so wie die Nachplapperer in den Redaktionen bürgerlicher Medien -, hat die globale Finanzkrise, die Mitte September mit der Pleite der Lehmann Brothers Bank begann, anschließend den Wirtschaftseinbruch ausgelöst, der jetzt auch von den bürgerlichen Ökonomen schon offen "Krise" genannt wird.

Deutschland: Auftragseingang der Industrie 2006 bis 10.08

Aber: Die Zahlen des zweiten und dritten Quartals 08 zeigen bereits in den USA, Großbritannien, Deutschland, Japan und anderen Ländern deutliche Einbrüche der Wirtschaftstätigkeit. Die wesentlichen Länder sind bereits seit dem dritten Quartal in der Krise - hatten also im Oktober schon zwei Quartale sinkender Wirtschaftsaktivität hinter sich. Mitte September ist aber am Ende des dritten Quartals. Die Finanzkrise kann also die Wirtschaftskrise nicht ausgelöst haben.

Nun haben dies auch bürgerliche Ökonomen und Kommentatoren bemerkt. Der Chef-Ökonom der Financial Times Deutschland (FTD), Thomas Fricke, schreibt am 18. Dezember 2008:

"Lehman ging am 15. September pleite, was tatsächlich eine systemische Krise im Finanzsektor auslöste. Allerdings waren zu dem Zeitpunkt alle wichtigen Konjunkturindikatoren schon seit Wochen schockartig auf Talfahrt. (...)

In den USA schnellte die Zahl der Neuanträge auf Arbeitslosengeld in der letzten Juli-Woche plötzlich auf Rezessionsniveau - nicht Mitte September. Im August brach der Aufwärtstrend bei Aufträgen für US-Unternehmen ab, die Bestellungen fielen binnen einem Monat um vier Prozent. Die Industrieproduktion sank ebenso abrupt im Monat vor der Lehman-Pleite - nicht danach. Das Gleiche gilt für Amerikas Exporte, die vorher monatelang geboomt hatten.

Welt: Wirtschaftswachstum 3/08 gegen Vorquartal

Für den Rest der Welt lautet der Befund ähnlich. In der Euro-Zone begannen die Stimmungsindikatoren im Juni abzustürzen, mit Zuspitzung im Juli. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex beschleunigte seine Talfahrt abrupt schon kurz vor der Jahresmitte. In Japan brachen im August die Aufträge für Maschinen jäh um zwölf Prozent ein. Selbst in China gab es schon Wochen vor Lehman Anzeichen für einen ernsteren Konjunkturrückschlag. Die Frage drängt sich auf: Was, in aller Welt, ist in den Monaten Juni bis August 2008 passiert, dass in diesen Wochen fast zeitgleich rund um den Globus die Konjunkturindikatoren abstürzten? Was hat diesen Schock bewirkt?"

Da steckt allerdings schon ein Wurm in der Fragestellung. Es wird gar nicht mehr nach der Ursache von Wirtschaftskrisen gefragt, sondern nur nach dem Auslöser. Also zunächst einmal: Der Kapitalismus bringt gesetzmässig Wirtschaftskrisen hervor, weil die Kapitalisten einerseits versuchen müssen, die Löhne immer mehr zu verringern und andererseits die Produktion immer weiter ausweiten müssen, um den sinkenden Profitraten zu versuchen zu entgehen, was zur Überproduktion führt. Das ist die Ursache der Wirtschaftskrise.

Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 - 2008 mit Trendlinie
Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 bis 2008 mit Trendlinie

Nur hätte diese Krise eigentlich schon viel früher ausbrechen müssen. Der konkrete Ausbruch wurde aber künstlich hinausgezögert, indem man überall, in besonderem Masse aber in den USA, den Verbrauchern leichten Kredit (und oft zu leichten) zu märchenhaft guten Bedingungen (oft auch märchenhaft unrealistisch) offerierte, was auch weithin angenommen wurde. Eine Welle von Konsum auf Kredit wurde induziert, vor allem durch steil steigende Immobilienpreise ausgelöst, was sich aber nun als eine Blase herausgestellt hat, scheinbar erhöhte Werte ohne wirklichen Hintergrund. Besonders in den USA, aber auch in Großbritannien und Spanien begannen diese Immobilienblasen bereits ab 2006 zu platzen. In Wirklichkeit ist dieser Prozess nicht ein einmaliges schnelles Platzen, sondern eine jahrelange Talfahrt.

Wer diesen Prozess verfolgt hat, konnte bereits seit 2006 den Ausbruch dieser Krise kommen sehen. Im 2. und 3. Quartal dieses Jahres gab es reihenweise Anzeichen für das konkrete Übergang in die Krise, wie Fricke (Zitat oben) darlegt.

Trotzdem gab es keinen bürgerlichen Ökonomen, der das Offensichtliche erkannt und Warnungen abgegeben hätte. Das dürfen sie nämlich nicht, denn Krisen gibt es angeblich nicht im Kapitalismus und überhaupt ist Marx ein Spinner.

Deutschland: 2. Quartal 2008 gegen 2.Quartal 2007 BIP Lohn Konsum Vermögen

So kam es dazu, dass der 15. September alle Welt unvorbereitet traf und seitdem behauptet wird, es sei eine Finanzkrise mit "Auswirkungen auch in der Realwirtschaft". In Wirklichkeit ist die Finanzkrise vor allem ein Ausdruck des völlig irrwitzigen Kreditvergabe, die zwar die Krise hinauszögern konnte, aber sie gleichzeitig vertiefte. Sie ist nichts anderes als eine Zugabe. Die eigentliche Wirtschaftskrise dagegen hat gerade erst angefangen und ihr wirkliches Ausmaß ist noch gar nicht abzusehen. Wenn behauptet wird, Ende 2009 oder im Jahr 2010 ginge es schon wieder aufwärts, ist das nichts weiter als Pfeifen im dunklen Wald.

Wenn man Analysen der kapitalistischen Wirtschaft anstellen will, aber gleichzeitig Marx verneinen muss, kommt man eben immer bestenfalls zu Kaffeesatzleserei.

Was nun die andere Frage betrifft, nämlich die konkreten auslösenden Elemente der Krise in diesem Fall, so kann Fricke schon recht haben. Er macht vor allem den extrem hohen Ölpreis zu jenem Zeitpunkt verantwortlich für das Auslösen der Krise, zusammen mit dem Schock, den die Zentralbanken in jener Situation auslösten, als sie im Juli die Leitzinsen erhöhten, weil sie meinten, es sei vor allem die Inflation zu bekämpfen.

Das dürfte wahrscheinlich als die idiotischste Einschätzung des letzen Jahrhunderts in die Geschichte eingehen.

Deutschland: Statistik von 2000 bis 2007 über BIP, Lohn, Konsum und Vermögenseinnahmen

Wenn es je einen Total-Blackout der bürgerlichen Scheinwissenschaft der Ökonomie gegeben hat, so war es die völlige Hilflosigkeit, die Sinn und Konsorten in dieser Situation an den Tag gelegt haben. Und so kann man auch ihren weiteren Vorhersagen nicht glauben, de zum Beispiel für Deutschland lediglich ein halbes bis ein Prozent an Minus in der Wirtschaftstätigkeit für 2009 vorhersehen.

Nach allen vernünftigen Einschätzungen dessen, was da auf uns zukommt, wird das Jahre dauern und weit, weit tiefer als minus 0,5% absinken.

Und selbst die geringfügigen Maßnahmen zur Verringerung der Tiefe der Krise, die jetzt noch möglich wären und die in den USA, Japan, Großbritannien und Frankreich weitgehend benutzt werden, will die Bundesregierung nicht verwenden. Jetzt den Konsum zu stützen, hält sie für unnötig.

Alles, was überhaupt diskutiert wird, soll Unternehmen helfen, aber nichts ist für den Konsumenten vorgesehen. Das beruht auf der absurden Einschätzung der "Wirtschaftsexperten" der Regierung, der Kern der Krise bestände aus Unternehmen, die an den Rand der Pleite kommen und nicht aus fehlender Möglichkeit des Konsums durch Geldmangel bei den Konsumenten.

Alle 10 größten Volkswirtschaften der Erde haben inzwischen bereits Maßnahmen angekündigt oder schon durchgeführt, die unmittelbar im Konsum wirksam werden und über mehrere 100 Milliarden Euros gehen, mit der einzigen Ausnahme der Bundesrepublik. Das wird weitere zusätzliche Prozente an Wirtschaftseinbruch in Deutschland ergeben - über den mancher anderen großen Wirtschaftsnation hinaus.


Veröffentlicht am 31. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Dienstag, 30. Dezember 2008

Hat Uri Avnery’s Friedensappell eine Chance?

Was bedeutet „demographische Zusammensetzung“?

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Mit einer Veröffentlichung im US-jüdischen Magazin TIKKUN hat sich der israelische Friedensaktivist Uri Avnery an den gewählten US-Präsidenten Obama gewandt, um ihn für eine Friedensinitiative für den Nahen Osten zu gewinnen. Er schlägt detailliert die Regelungen eines Friedensvertrags vor. Hat sein Appell irgendeine Chance, Gehör zu finden?

Uri Avnery

Nun, die Chancen können als minimal eingestuft werden, selbst wenn Obama sich wirklich ernsthaft mit diesem Vorschlag beschäftigen sollte. Die Initiative hat zwei entscheidende „Vergiftungen“, die es dem palästinensischen Volk unmöglich machen werden, ihn anzunehmen und - weit wichtiger noch - sie wird von Obama und seiner Crew bereits im Ansatz vom Tisch gefegt werden.

Obama hat, nachdem er in der Kampagne um die demokratische Nominierung mit einer scheinbar fortschrittlichen Position „gegen das Establishment in Washington“ („Change we can believe in“) seine Rivalin Clinton besiegen konnte, im darauffolgenden Wahlkampf gegen McCain und nach seiner Wahl deutlich gemacht: Er ist der Repräsentant des „Establishments in Washington“. Er wird exakt die Politik der Clinton-Periode weiterzuführen versuchen, speziell in der Aussenpolitik, was durch nichts deutlicher dokumentiert werden kann als durch die Berufung von Hillary Clinton ins Aussenministerium.

Sowohl der neue Präsident wie auch seine Aussenministerin haben in Auftritten vor zionistischen Organisationen in den USA bereits deutlich gemacht: Sie werden die Situation „Kein Krieg, kein Frieden“ im Nahen Osten weiterhin aufrechterhalten wollen, sie werden das zionistische Israel als einzige Grossmacht in Nahen Osten und als ihr Faustpfand dort weiter unterstützen. Sie werden jegliches Abenteuer absegnen, sei es eine neuer Überfall auf den Libanon, sei es die Besetzung Syriens, sei es die „völlige Auslöschung“ (Zitat eines führenden israelischen Politikers) Irans durch Atomwaffen, sei es die „shoa“ (Holocaust, Zitat eines israelischen Minsters) an den Palästinensern.

Palestina land loss

Obama ging sogar so weit, vor einer zionistischen Organisation in den USA zu versichern, das „vereinigte ganze Jerusalem“ sei „auf alle Zeiten israelisch“ - obwohl niemand ihn zu einer solchen Aussage aufgefordert hatte - und damit jedem noch so zaghaften Ansatz einer Friedenslösung eine Absage zu erteilen.

Aber selbst wenn man annehmen würde, Obama würde sich nach seiner Amtseinführung plötzlich als fortschrittlicher Politiker entpuppen, er würde alle Ernennungen zurückziehen und eine ganz neue, andere Crew einsetzen und nicht mehr ausschliesslich die imperialen Interessen der einzigen Supermacht vertreten, können die Vorschläge Avnerys keinen Erfolg haben, denn sie sind für das palästinensische Volk unannehmbar.

Avnery benennt selbst das Problem der israelischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet als wesentlich, will es aber nicht wirklich lösen. Er will alle Siedlungen räumen, „abgesehen von den 200 000 Siedlern im Raum Groß-Jerusalem, deren Status etwas anders ist“. Damit hätten die Palestinenser in ihrem Teil von Jerusalem eine Unzahl von aggressiven Todfeinden, die ihnen das Leben zur Hölle machen würden. Ebenso sieht er vor, einen Teil der Siedlungen auf den anderen palästinensischen Gebieten mit Gebietstausch („1:1“) aufzurechnen, sprich ein paar Streifen Wüste gegen Kerngebiete der Palästinenser zu tauschen, was den gleichen Effekt haben würde: Auf Dauer Todfeinde in unmitelbarer Nachbarschaft.

Ausserdem – und allein das macht die Initiative bereits aussichtslos – will er vom Prinzip abweichen, dass alle palästinensischen Flüchtlinge ein Rückkehrrecht haben und ein Anrecht auf den ihnen gestohlenen Grund und Boden sowie ihre Häuser. Er will das so regeln: „Die Zahl der Flüchtlinge, die in israelisches Land zurückkehren können, wird durch gegenseitiges Einvernehmen festgelegt – mit dem Einverständnis, dass nichts getan wird, was die demographische Zusammensetzung der israelischen Bevölkerung wesentlich verändert.“

Die völlige Zerstückelung des palästinensischen Territoriums wird hier deutlich. Das ist keine Besatzung, das ist Annektion.

Das bedeutet, velleicht nur 5% der Flüchtlinge (oder ein ähnlich geringer Anteil), die aus dem israelischen Gebiet vertrieben wurden, könnten zurückkehren, hätten Anspruch auf ihr Land und/oder ihr Haus. Vor allem aber bedeutet es – und das macht allein bereits die Initiative wertlos – dass Israel als zionistischer Staat bestehen bleibt, als aggressiver drohender Staat mitten im arabischen Kernland, der allein das Recht auf Atombomben hat und damit beliebig droht, der eine der am extremsten aufgerüsteten Grossmächte auf der Welt ist, der auf Dauer alle Länder des Nahen Ostens dominiert und ihnen die Politik vorschreibt (ständig mit der Atombombe im Hintergrund), der auf seiner rassistischen Basis besteht, der allen „nicht reinrassigen Juden“ keine Bürgerrechte und demokratischen Rechte zugesteht und weiterhin als langer Arm der USA den Frieden in der Region verhindert.

Barack Obama

Wer von „demographischer Zusammensetzung“ spricht, ist Rassist und seine Vorschläge können schon aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden.



Wer den Vorschlag Uri Avnerys nicht kennt, hier ist er, wie er in verschiedenen alternativen Internetorganen veröffentlicht wurde:




Denkschrift für Obama

Für den gewählten Präsidenten, Herrn Barack Obama

Von Uri Avnery

Die folgenden bescheidenen Vorschläge gründen sich auf meine 70 Jahre langen Erfahrungen als Untergrundkämpfer, als Soldat einer Sondereinheit im Krieg 1948, als Herausgeber eines Wochen-Magazins, als Mitglied der Knesset und Gründungsmitglied der Friedensbewegung:

(1) Was den israelisch-arabischen Frieden betrifft, sollten Sie von Tag eins an handeln.

(2) Die israelischen Wahlen finden im Februar 2009 statt. Sie könnten einen indirekten, aber wichtigen und konstruktiven Einfluss auf das Ergebnis haben, indem Sie Ihre unmissverständliche Entschlossenheit verkünden, 2009 einen israelisch-palästinensischen, einen israelisch-syrischen und einen israelisch-gesamtarabischen Frieden zu erreichen.

(3) Leider haben alle ihre Vorgänger seit 1967 ein doppeltes Spiel getrieben. Während sie für den Frieden Lippenbekenntnisse abgaben und zuweilen scheinbar Schritte in Richtung Frieden machten, unterstützten sie in der Praxis unsere Regierungen und gingen so in die falsche Richtung. Insbesondere waren sie stillschweigend mit dem Bau und der Vergrößerung der israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen und syrischen Gebieten einverstanden. Jede der Siedlungen ist eine Landmine auf dem Weg zum Frieden.

(4) Alle Siedlungen sind nach dem Völkerrecht illegal. Die Unterscheidung, die manchmal zwischen „illegalen“ Außenposten und anderen Siedlungen gemacht wird, ist ein Propagandatrick, mit der Absicht, diese simple Wahrheit zu verdunkeln.

(5) Alle seit 1967 gebauten Siedlungen sind ausdrücklich zu dem Zweck gebaut worden, um einen palästinensischen Staat – und so auch Frieden – unmöglich zu machen, indem das Gebiet des zukünftigen Staates Palästina in Streifen und Stücke geschnitten wurde. Praktisch haben alle Regierungsabteilungen und die Armee offen oder insgeheim beim Bauen, Festigen und Erweitern der Siedlungen geholfen – wie ein Bericht der Anwältin Talia Sasson für die Regierung (!) im Jahre 2005 bestätigt.

(6) Bis jetzt hat die Zahl der Siedler in der Westbank etwa 250 000 erreicht (abgesehen von den 200 000 Siedlern im Raum Groß-Jerusalem, deren Status etwas anders ist.) Sie sind politisch isoliert und werden von der Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit abgelehnt – sogar verabscheut. Sie werden aber von der Armee und den Regierungsministerien unterstützt.

(7) Keine israelische Regierung würde es wagen, sich gegen die konzentrierte politische und materielle Macht der Siedler zu stellen. Solch eine Konfrontation würde eine sehr starke Führung und die uneingeschränkte Unterstützung des Präsidenten der USA voraussetzen, damit sie eine Chance auf Erfolg hat.

(8) Solange dies fehlt, sind alle „Friedensverhandlungen“ Heuchelei. Die israelische Regierung und ihre US-Unterstützer haben alles getan, um zu verhindern, dass die Verhandlungen zu Abkommen mit den Palästinensern und den Syrern führen, aus Furcht vor einer Konfrontation mit den Siedlern und deren Unterstützern. Die gegenwärtigen ??? „Annapolis“-Verhandlungen sind so nichtssagend wie alle vorausgegangenen. Jede Seite macht bei dem Spiel mit, jede aus eigenen politischen Interessen.

(9) Die Clinton-Regierung und noch mehr die Bush-Regierung erlaubten der israelischen Regierung, dieses Spiel fortzuführen. Deshalb ist es dringend notwendig, Mitglieder dieser Regierungen daran zu hindern, die Nahost-Politik in die alten Kanäle zu lenken.

10.) Es ist sehr wichtig für Sie, einen völlig neuen Start zu machen und dies auch
öffentlich deutlich zu machen. Diskreditierte Ideen und fehlgeschlagene Initiativen –
wie die der Bush-„Vision“, der Road Map, der Annapolis- Initiative und ähnliche – sollten
auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen werden.

11.) Um einen neuen Start zu machen, sollte das Ziel der amerikanischen Politik kurz und bündig dargelegt werden. Etwa so: Einen Frieden auf Grund einer Zwei-Staaten-Lösung innerhalb einer bestimmten Zeitspanne – sagen wir bis Ende 2009 – zu erreichen.

12.) Es sollte darauf hingewiesen werden, dass sich dieses Ziel auf eine Neubewertung der amerikanischen nationalen Interessen gründet, um das Gift aus den amerikanisch-arabischen und amerikanisch-muslimischen Beziehungen zu ziehen, um die friedensorientierten Regime zu stärken, den Al-Qaeda-artigen Terror zu besiegen, den irakischen und afghanischen Krieg zu beenden und mit dem Iran eine realisierbare Übereinkunft zu erreichen.

13.) Die Bedingungen für einen israelisch-palästinensischen Frieden sind klar. Sie haben sich in Tausenden von Stunden in Verhandlungen, Konferenzen, Treffen und Gesprächen zwischen den beiden Seiten herauskristallisiert. Es sind folgende:

a) ein souveräner und lebensfähiger Staat Palästina wird Seite an Seite mit dem Staat Israel errichtet.

b) Die Grenze zwischen den beiden Staaten wird sich auf die Waffenstillstandlinie von 1949 gründen (die „Grüne Linie“). Geringfügige Veränderungen können bei gegenseitigem Einverständnis mit einem Gebietsaustausch auf der Basis von 1:1 erfolgen.

c) Ost-Jerusalem, einschließlich des Haram-al-Sharif („Tempelberg“) und alle arabischen Stadtteile werden zur Hauptstadt Palästinas. West-Jerusalem, einschließlich der Klagemauer und alle jüdischen Stadtteile werden zur Hauptstadt Israels. Es wäre wünschenswert, eine gemeinsame Stadtverwaltung, die auf Gleichheit basiert, mit gegenseitiger Übereinstimmung zu errichten, damit die Stadt als territoriale Einheit verwaltet werden kann.

d) Alle israelischen Siedlungen - außer denen, die im Rahmen gegenseitigen Einvernehmens gegen Gebiete ausgetauscht wurden – werden evakuiert werden (s. unter 15.)

e) Israel wird im Prinzip das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkennen. Eine gemeinsame „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“, aus palästinensischen, israelischen und internationalen Historikern zusammengesetzt, werden die Ereignisse von 1948 und 1967 untersuchen, wer für was verantwortlich war. Jedem einzelnen Flüchtling soll die Wahl gegeben werden 1. zwischen Rückkehr in den Staat Palästina, 2. dort zu bleiben, wo er/sie jetzt lebt und eine großzügige Kompensation erhalten. 3. Rückkehr nach Israel und dort wieder neu angesiedelt werden, 4. auswandern in ein anderes Land mit großzügiger Kompensation. Die Zahl der Flüchtlinge, die in israelisches Land zurückkehren können, wird durch gegenseitiges Einvernehmen festgelegt – mit dem Einverständnis, dass nichts getan wird, was die demographische Zusammensetzung der israelischen Bevölkerung wesentlich verändert. Die großen Geldmittel, die für die Erfüllung dieser Lösung nötig sind, müssten von der internationalen Gemeinschaft im Interesse des Weltfriedens aufgebracht werden. Dies würde viel Geld sparen, das heute für militärische Ausgaben und als direkte Subventionen aus den USA ausgegeben wird.

f) Die Westbank, Ost-Jerusalem und der Gazastreifen stellen eine nationale Einheit dar. Eine exterritoriale Verbindung (Straße, Bahn, Tunnel oder Brücke) wird die Westbank mit dem Gazastreifen verbinden.

g) Israel und Syrien werden ein Friedensabkommen unterzeichnen. Israel wird sich zu der Grenzlinie von vor 1967 zurückziehen, und alle Siedlungen auf den Golanhöhen werden aufgelöst. Syrien wird mit allen anti-israelischen direkten oder indirekten Aktivitäten aufhören. Beide Parteien werden normale Beziehungen mit einander aufbauen.
h) In Übereinstimmung mit der Friedensinitiative von Saudi-Arabien, erkennen alle Mitglieds- Staaten der arabischen Liga Israel an und bauen normale Beziehungen mit ihm auf. Gespräche über eine zukünftige Nahost-Union – nach dem Modell der EU – die möglicherweise auch die Türkei und den Iran einschließen, können in Betracht gezogen werden.

14.) Die palästinensische Einheit ist für den Frieden wichtig. Nur mit einem Teil des Volkes Frieden zu schließen, hat keinen Sinn. Die USA werden nichts tun, um die palästinensische Versöhnung und den Einigungsprozess der palästinensischen Strukturen zu verhindern.
Zu diesem Zweck wird die USA ihren Boykott der Hamas beenden, die die letzten Wahlen gewonnen hatte, einen politischen Dialog mit der Bewegung beginnen und Israel ermutigen, dasselbe zu tun. Die USA werden jedes Ergebnis demokratischer palästinensischer Wahlen respektieren.

15.) Die USA werden der Regierung Israels helfen, mit dem Siedlungsproblem fertig zu werden. Den Siedlern wird von jetzt an ein Jahr Zeit gegeben, die besetzten Gebiete freiwillig zu verlassen und dafür eine Kompensation erhalten, die ihnen erlaubt, ihr
Haus im eigentlichen Israel zu bauen. Danach werden alle Siedlungen evakuiert –
außer denen, die nach einem Friedensabkommen Israel angeschlossen werden.

16.) Ich schlage vor, dass Sie als Präsident der Vereinigten Staaten nach Israel kommen und sich persönlich an das israelische Volk wenden – nicht nur vom Rednerpult der Knesset aus, sondern bei einer Massenrallye auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv. Präsident Anwar Sadat von Ägypten kam 1977 nach Israel und hat, als er sich direkt an das israelische Volk wandte, seine Haltung zu einem Frieden mit Ägypten völlig verändert. Im Augenblick fühlen sich die meisten Israelis unsicher und haben Angst vor jeder gewagten Friedensinitiative, zum Teil wegen eines tiefen Misstrauens gegenüber allem, was von der arabischen Seite kommt. Ihre persönliche Initiative zu einem sehr entscheidenden Zeitpunkt könnte buchstäblich Wunder wirken, indem Sie die psychologische Basis für Frieden schaffen könnten.

Dieser Text ist in der neuen Ausgabe des progressiven jüdisch-amerikanischen Magazins TIKKUN veröffentlicht worden.

dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

Montag, 29. Dezember 2008

Der kapitalistische Krisenzyklus - "Eiszeit", "Kollaps", "Infarkt"

Krise Nr. 149

Von Karl Weiss

Der Harvard-Ökonom Robert Barro hat seit 1870 insgesamt 148 Krisen identifiziert, bei denen das Brutto-Inlandsprodukt des jeweiligen Landes um mindestens 10% gesunken ist (gegenüber dem Vorjahreszeitraum). Zwar hat die Intensität der Krisen nach dem 2. Weltkrieg zunächst deutlich nachgelassen, aber die These der bürgerlichen Ökonomen, das sei Ergebnis der verbesserten Beeinflussung, erweist sich nun als vergebliche Hoffnung. Es kann nicht im geringsten von sachlichem Beeinflußbarkeit die Rede sein. Alles, was die kapitalistische Wirtschaftskrise an Intensität verloren zu haben schien, kommt nun mit voller Wucht in der gerade begonnenen (Nr. 149) umso intensiver zur Geltung.

Damit sind so ziemlich alle Thesen der bürgerlichen Ökonomen der letzten 60 Jahre widerlegt. Natürlich gibt das niemand zu. Manche klammern sich so hysterisch an ihre eigenen Dogmen, dass sie jetzt ungeachtet der klaren Anzeichen eine Krise vorhersagen, in der es z.B. Deutschland angeblich nur zu einem Minus von 0,5% in der Wirtschaftsleistung kommen und ab dem Jahr 2010 bereits wieder aufwärts gehen wird.

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Alle jene allerdings, die sich an den tatsächlichen Vorzeichen orientieren und nicht an Dogmen, sprechen von ganz anderen Zahlen und benutzen Worte wie „Eiszeit“, wie „Kollaps“ und „Infarkt“, siehe z.B. den aktuellen Leitartikel von Tobias Bayer in der Financial Times Deutschland (FTD) unter dem Titel „Die ruhigen Jahre sind vorbei“.

Er stellt die These auf, es habe eine Ansammlung von glücklichen Umständen gegeben, die dazu führten, dass die große Krise erst jetzt ausgebrochen ist. Tatsächlich hängt die Intensität der Krisen von hunderterlei Umständen ab, aber im gesamten werden die Krisen eben am Ende das tun, was sie im Kapitalismus tun müssen: Die Vernichtung von überschüssigen Produktionskapazitäten, bis die verbleibenden den vorhandenen Kaufkraft angepasst sind.

Es sieht ganz so aus, dass es da einen ziemlichen Nachholbedarf gibt und es scheint so, diesmal werden alle möglichen Eingriffe bestenfalls noch eine Verminderung der Einbrüche in bestimmten Länder bewirken können, nicht mehr und nicht weniger.

Deutschland: Brutto-Inlandsprodukt, Einkommen, Renten, Prozent gegen Vorjahr, bis 2008

Nicht dass diese Eingriffe nicht einen deutlichen Unterschied ausmachen könnten, was wir besonders in Deutschland extrem bemerken werden. Die Weigerung der großen Koalition (und der sie unterstützenden Parteien der FDP und der Grünen), auch nur ein einziges wirklich großes Konsumpaket aufzulegen, wird noch zu entsetzlichen Zuständen in Deutschland führen.

Allerdings wird sich das nicht wesentlich von jenen Zuständen unterscheiden, die in den USA nach dem Kollaps des Dollars herrschen werden oder denen in China, nachdem praktisch alle Exporte in die USA gestoppt sein werden. Man darf, ohne allzu weit vorzugreifen, von einer profunden sozialen Unrast in allen diesen Ländern ausgehen.

Dollar Gasp

Die kapitalistischen Krisen sind unerbittlich und sie sind unvermeidlich. So sind sie auch Teil des unvermeidlichen Endes des kapitalistischen Systems. Allerdings kommt dies nicht automatisch. Wir werden den entscheidenden Stoß geben müssen. Der Schreiber dieser Zeilen wird mitmachen. Und Sie?


Veröffentlicht am 29. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Samstag, 27. Dezember 2008

Die Realität hinter dem Nebelschleier ...

...des „Rechtsstaates“: Der Fall Zumwinkel

Von Karl Weiss

Ab und zu lüftet sich der Nebelschleier, der über dem Rechtssystem im Kapitalismus wabert und „Rechtsstaat“ heißt. Zwar gibt es auch auch gerechte Verfahren, aber das war auch in der Sklavenhaltergesellschaft und im Feudalismus so. Interessant wird es immer, wenn einer der Herrschenden eine Straftat begangen hat und angeklagt wird (oder eben auch nicht). So wird der Fall Zumwinkel zum Menetekel an der Wand des angeblichen Rechtsstaates.

Zumwinkel, damals Chef der privatisierten ehemaligen Bundespost, wollte seine Millioneneinnahmen natürlich nicht voll versteuern – so wie alle Superreichen – und versteckte dementsprechend das Geld auf den bekannten Konten Liechtensteiner Banken, was für alle mit viel Geld Standard-Vorgehen ist. (Der Gerechtigkeit halber sei angemerkt, Liechtenstein ist keineswegs der einzige „sichere Hafen“ für Geld, das „der Aufmerksamkeit der Steuerbehörden entzogen“ wurde, da gibt es auch noch die Cayman-Inseln, die britischen Kanalinseln, die Bahamas und viele, viele andere Steuerparadiese.)

Diese Tatsache - die Superreichen entziehen fast all ihre Einnahmen dem Zugriff des Fiskus - ist Allgemeingut oder anders ausgedrückt: Jeder einigermaßen Informierte weiss das. Das trifft natürlich auch auf alle Staatsanwälte zu. Da Steuerhinterziehung – im Millionenbereich – eine mit Gefängnis bedrohte Straftat ist, hätten sie also aktiv werden müssen, um die Steuersünder – wie sie sich gerne verharmlosend bezeichnen lassen – zu fassen und die Lecks zu stopfen. Aber wie wir alle wissen, gab es praktisch nie Hinterziehungsverfahren gegen Mitglieder der herrschenden Klasse – lediglich Prominente , die nicht zu den Herrschenden gehören, wurden verfolgt, wie die Tennisspieler Steffi Graf und Boris Becker.

Kurz – im Kapitalismus herrschen die gleichen Regeln wie in den früheren Klassengesellschaften Sklavenhaltergesellschaft und Feudalismus: Die Herrschenden werden nicht der strafenden Hand des Gesetzes ausgesetzt. Das gilt für Steuerhinterziehung und auch für andere Straftaten, wie die Freisprüche oder faktischen Freisprüche für Graf Lambsdorff, Kohl, Esser, Ackermann, Strauss Junior und Hartz gezeigt haben.

Nun gibt es aber in Bochum eine leitende Staatsanwältin, Frau Lichtinghagen, die plötzlich einen Anfall von Rechtsempfinden bekam und hinter den Geldabflüssen in Steueroasen her ging. Interessant, dass es wiederum eine Frau ist, wenn Mut gefordert ist. Sie musste im Grunde wissen, sie würde dies bitter büßen müssen, denn all die Tausende von Staatsanwälten, die bewusst nicht tätig werden auf diesem Gebiet, wissen schließlich warum. Wie auch immer, Frau Lichtinghagen, die einzige mutige Person unter allen Staatsanwälten Deutschlands, ließ den Geldabflüssen auf jene Liechtensteiner Konten hinterher spüren, wurde fündig und klagte Zumwinkel und andere deutsche Superreiche an.

Eine Zeit lang schien dies auch gut zu gehen. Die Prozesse gegen eine gute Zahl von „hochherrschaftlichen“ Steuerhinterzieher fanden weithin Aufmerksamkeit. Doch jene Leute, die eben in Wirklichkeit herrschen, haben natürlich ihre Handlanger an den entsprechenden Schaltknöpfen, die ihnen solche „Lästigkeiten“ vom Halse halten.

Die erste entsprechende Information kam bereits vor drei Wochen, als bekannt wurde, ein Amtsrichter hatte „vergessen“, rechtzeitig Anklage zu erheben. Dadurch sei ein wesentlicher Teil des Zumwinkel-Hinterzugs verjährt und er könne nicht mehr zu Gefängnisstrafe verurteilt werden.

Dann kam die nächste Information: Frau Lichtinghagen sei angeklagt: Sie hätte bei der Auswahl von gemeinnützigen Organisationen „gemauschelt“, denen Geldstrafen zukommen gelassen wurden. Es blieb bei dieser allgemeinen Erwähnung, niemand konkretisierte, was man ihr eigentlich vorwarf und inzwischen ist klar, es gibt überhaupt keine Fehlverhalten von Frau Lichtinghagen. In Wirklichkeit hatten die Herrschenden ihr Verbindungen „spielen lassen“ und es begann ein Mobbing gegen Frau Lichtinghagen.

Es gibt überhaupt keine Regelungen für die Auswahl von gemeinnützigen Organisationen, denen Geldstrafen zukommen. Sie ist vollständig den Staatsanwälten und Richtern überlassen, die meistens dem Vorschlag der Staatsanwälte folgen. Dass irgendeine der Organisationen, die Frau Lichtinghagen vorschlug, etwa nicht gemeinnützig gewesen sei, hat nicht einmal jemand behauptet.

Es wurde gemobbt auf Teufel komm raus und ihre Vorgesetzten, ein Oberstaatsanwalt in Hamm und vor allem der nordrhein-westfälischen Justizminister, der in diesem Fall eine Ministerin ist mit dem Namen Müller-Piepenkötter, nahmen sie nicht nur nicht in Schutz, sondern schienen dahinter zu stecken. Nun ja, „christliche“ Regierung, was hatten Sie da erwartet?

Die „Financial Times Deutschland“ (FTD) drückt dies so aus:

„Steuerfahnder, mit denen Lichtinghagen eng zusammenarbeitet, und Mitarbeiter der Behörde sahen in der Schlammschlacht um die engagierte Staatsanwältin den Versuch, sie aus dem Amt zu drängen. Bereits zuvor hatte es geheißen, die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum wolle die noch ausstehenden Ermittlungen abgeben. Mitarbeiter der Behörde hatten gegenüber der FTD von einer "Führung des Mobbings" bei der Behörde gesprochen. Kritische Mitarbeiter würden konsequent gemobbt, von "Leichen im Keller" war die Rede, von Kungeleien.“

Nun, man hat es geschafft: Frau Lichtinghagen ist enerviert und sagte, sie stimme jeglicher Lösung zu, wenn sie nicht wieder in jene Behörde müsse. Die Justizministerin verkündete nun, Frau Lichtinghagen wolle sich freiwillig versetzten lassen an ein kleines Amtsgericht.

Jeder kann sich ausmalen, wie die Prozesse gegen die Steuerhinterzieher nun weiter gehen. Wie üblich wird man die Verfahren gegen Geldstrafe einstellen oder nur Geldstrafen verteilen, die für die Betroffenen „peanuts“ sein werden. Den Film kennen wir, alle haben ihn schon gesehen.

Allerdings wird die deutsche Bevölkerung nun immer kritischer gegenüber diesen „Weisswaschungen“. Bei der Umfrage der FTD mit der Frage „Wie beurteilen Sie das Ausscheiden der leitenden Staatsanwältin in der Liechtensteiner Steueraffäre?“, antworteten 80% „empörend“. Die anderen Möglichkeiten waren „verständlich“ und „bedauerlich“.

Der Rettungs-Plan

Langsam aber sicher taucht die Wahrheit aus den Nebelschwaden des Poltiker-Gesabberes auf: Wir leben in keiner Demokratie, sondern in der Diktator des großen Kapitals in den Vorstandsetagen und Besitzervillen von Banken und Unternehmen. Sie ordnen an, wann der Steuerzahler ihnen 400 Milliarden Euro zur Rettung ihrer Banken zu übergeben hat und wann eine Staatsanwältin zu „entsorgen“ ist.


Veröffentlicht am 24. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Freitag, 26. Dezember 2008

War die RAF ein 'Verfassungsschutz'-Projekt?

Gängelband-Terrorgruppen

Von Karl Weiss

Anlässlich der Freilassung des Ex-Terroristen Klar liest man wieder viel über die Terrorgruppe RAF. U.a. muss sie selbst heute noch, Jahrzehnte nach ihrem Untergang, als Begründung für die Schaffung des gläsernen Bürgers herhalten. Das BKA-Gesetz, gerade vom Bundesrat verabschiedet, erlaubt es, jeden beliebigen Bundesbürger (und auch Ausländer) vollständig zu überwachen, am Telefon, im Internet, im privaten Computer, in der Wohnung, mit Mikrofon und mit Kamera – man muss nur vorgeben, derjenige könnte eventuell irgendwie mit Terrorismus in Zusammenhang stehen – wobei unter Terrorismus vor allem verstanden wird, man wolle das bundesdeutsche Regime verändern. Das alles ohne auch nur den Ansatz eines konkreten Verdachtes.

Da ist es also nun umso interessanter, wenn Einzelheiten über die damalige Terrorgruppe RAF ans Tageslicht kommen, die schwerste Zweifel darüber aufkommen lassen, ob es je eine selbständige Terrorgruppe RAF gab, die nicht am Gängelband des Verfassungsschutzes geführt wurde. Am Anfang, als es sich noch nicht um eine Gruppe im Untergrund handelte, war es nichts weiter als eine Gruppe von Anarchisten, in der Ulrike Meinhoff und Andreas Baader die wichtigste Rolle spielten.

RAF

Nun gab es in der Geschichte schon andere Anarchisten, die zum Mittel der Terroranschläge gegriffen hatten, aber diese Gruppe hatte zu jener Zeit damit (noch?) nichts zu tun. Dann aber bekam die Gruppe Zulauf (alle, die damals schon erwachsen waren, erinnern sich an die Gesucht-Plakate mit einer grossen Anzahl von Portraits und Namen), nannte sich nun RAF und ging in den Untergrund. Von dort aus hat man eine Anzahl von Attentaten begangen und eine Anzahl von Menschen umgebracht.

Nun hat aber Michael Buback, der Sohn des bei einem dieser Attentate getöteten damaligen General-Bundesanwalts Buback, vor kurzem ein Buch veröffentlicht („Der zweite Tod meines Vaters“), das schwerste Zweifel aufbringt, ob es sich da wirklich um eine selbständige Terrorgruppe handelte oder um eine am Gängelband des „Verfassungsschutzes“.

Buback, Chemie-Professor an einer Universität, also an akribische wissenschaftliche Arbeit gewöhnt, wollte wissen, wer wirklich seinen Vater umgebracht hat. Er stiess dabei auf offensichtliche Ungereimtheiten. So lagen bei der Staatsanwaltschaft bereits vor 25 Jahren Aussagen vor, die ein Mitglied der Gruppe mit Namen Wisniewski als einen der Täter des Buback-Mordes identifizierten. Dieser Spur wurde aber bis heute nicht nachgegangen – ja, es wurde überhaupt keine Ermittlung gegen Wisniewski begonnen. Es besteht der intensive Verdacht, Wisniewski war Spitzel des Verfassungsschutzes in der Gruppe.

Nun ist der Sohn des Getöteten, der die Recherchen über Jahre zusammen mit seiner Frau führte, noch auf eine Reihe anderer Ungereimtheiten gestossen. So gibt es zum Beispiel klare Aussagen von Zeugen, die vermummte Person auf dem Rücksitz eines Motorrads, die mit einer automatischen Waffe die tödlichen Schüsse abgab, sei klein und zierlich gewesen. Man habe den Eindruck von einer Frau gehabt. Nun – es wurde nie eine Frau wegen dieses Verbrechens angeklagt. Man weiss aber, dass Verena Becker zu jener Zeit Teil der Gruppe war und dass sie klein und zierlich ist. Als Frau Becker verhaftet wurde, fand man bei ihr die Karlsruher Tatwaffe. Warum wurde dieser Spur nie nachgegangen? War Frau Becker eventuell auch Verfassungsschutz-Spitzel?

Ausserdem gibt es die „Zeugen vom Vortag“: Einen Tag vor dem Anschlag brachte in Karlsruhe (Sitz der Bundesanwaltschaft) eine unvorsichtig geöffnete Autotür ein Motorrad ins Schlingern, auf dem vermummte Personen waren, genauso wie am darauffolgenden Tag beim Anschlag. Wahrscheinlich waren es die gleichen Personen, die dann einen Tag später wirklich den Anschlag durchführten. Die Zeugen dieses Vorfalls am Vortag wurden damals nicht vernommen. Hätten sie unerwünschte Aussagen machen können, die einen (oder mehr) Verfassungsschutz-Spitzel hätten auffliegen lassen können?

Wenn der Verfassungsschutz mit einem Spitzel an diesem Anschlag beteiligt war, so hat auch die Bundesregierung Blut an ihren Fingern, nicht nur die Gruppe RAF. Wenn es – und dafür spricht Vieles – Wisniewski und Becker waren da auf dem Motorrad und beide Verfassungsschutz-Spitzel waren, so war es sogar eine Bundes-Mordtat, die nur indirekt etwas mit der RAF zu tun hat. Schwerwiegende offene Fragen!

Das alles geschah zur gleichen Zeit, als erwiesenermassen Bundes-Agenten ein Loch in die Mauer des Gefängnisses von Celle sprengten, was sie den „Terroristen“ in die Schuhe schieben wollten, denn dort sassen Gesinnungsgenossen ein. Ein weiteres Indiz für eine weit intensivere Beteiligung offizieller Stellen der Bundesrepublik an Dingen, die man „Linksradikalen“ zuschreibt, als es offiziell angegeben wird.

Und da gibt es die NPD, die nur deshalb nicht verboten werden konnte, weil sie so völlig von „Verfassungsschutz“-Mitarbeitern durchsetzt ist, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was sind Worte und Taten der NPD und was solche des „Verfassungsschutzes“. Sollte es eventuell schon vorher eine Organisation gegeben haben, die so völlig unter dem Kartell des „Verfasungsschutzes“ stand, dass ihre Taten nur durch massivste „Ermittlungs-Pannen“ den tatsächlichen Gruppenmitgliedern zugesprochen werden konnten? Die RAF?

Interessant in diesem Zusammenhang auch wieder die Haltung der bundesdeutschen bürgerlichen Medien. Über das Buch von Buback wurde zum Teil gar nicht, zum Teil mit schweren Auslassungen berichtet. Die deutlichen Verdachtsmomente gegen die Bundesregierung wurden beiseite gelassen. Selbst in einem Interview, das Buback der „Süddeutschen“ aus Anlass der Freilassung von Klar gab, kommt das Wort „Verfassungsschutz“ nicht ein einziges Mal vor, hier: http://www.sueddeutsche.de/politik/599/452304/text/

Waren es damals die Anarchisten, so sind heute die Islamisten zum Staatsfeind Nr. 1 geworden. Und das Schema gleicht sich: Wiederum kann man z.B. bei den „Sauerland-Bombern“ das Wirken von Bundes-Agenten feststellen, die aber nicht auftauchen und Zeugenaussagen machen, die man stattdessen heimlich aussteigen liess, bevor man zuschlug.

Auch in diesem Fall extrem verdächtige Umstände. Es wurde Wasserstoff-Peroxid-Lösung gekauft, obwohl man damit und mit anderen Zutaten überhaupt keinen handhabbaren Sprengstoff herstellen kann, es sei denn, man hätte eine Chemiefabrik und extrem spezielle Fachkenntnisse. Einen Monat vor den Festnahmen im Sauerland schreibt „Focus“ganz offen über diese angebliche Terrorgruppe, aber die macht wohlgemut weiter. Der Verdacht eines „agent provocateur“ liegt auch hier extrem nahe. Näheres in diesem Artikel: http://karlweiss.twoday.net/stories/4249087/

Ähnlich auch der Fall der vier „britischen Jungs“, die jene Attentate in London im Juli 2005 unmöglich ohne deutliche Hilfe von aussen begangen haben können. Aber genau das behauptet der englische Untersuchungsbereicht. Auch hier der klare Verdacht, ein „agent provocateur“ hat die unbedarften erzürnten Muslims angeleitet, um Anlass für den Abbau der bürgerlichen Rechte zu liefern.

Ganz ähnliches bei dem grossen Terroranschlägen in Madrid ein Jahr vorher, die 200 Menschenleben forderten. Islamisten, die überhaupt nicht genug Kenntnisse für einen so umfangreichen und komplizierten Anschlag haben. Polizeispitzel in der Gruppe. Einer dieser Spitzel hat sogar den Sprengstoff besorgt, mit dem die Anschläge durchgeführt wurden. Auch hier klare Hinweise auf „agent provocateur“, auf eine „Gängelband-Gruppe“.

Fangen wir nicht davon an, von den vielen Zweifeln an der offiziellen Version des Ablaufs und der Täter der Anschläge des 11. September 2001 zu reden.

Die RAF, 9/11, Madrid, London, die Sauerland-Bomber: Einzelteile setzen sich zu einem Puzzle zusammen: Staatsmacht hilf beim Terror mit. Es geht um Vorwände, die noch vorhandenen freiheitlichen Rechte abzuschaffen, denn man weiss, man wird auf Widerstand stossen. Die Völker werden sich diese Zustände nicht so einfach gefallen lassen. Darauf will man mit viel Stasi vorbereitet sein.

Nur sollte man sich das Ende der Stasi ansehen. Vielleicht stehen diese Herren eines Tages auch am Ofen, wo sie die Akten verbrennen wollen, die ihre Taten belegen.


Veröffentlicht am 24. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Dienstag, 23. Dezember 2008

Nicht alle Autobauer sind in der Krise

Zurückbesinnen auf alte Tugenden

Von Karl Weiss

Endlich einmal gute Nachrichten in krisengeschüttelten Zeiten. Ein Autohersteller hat keinerlei Absatzprobleme, ja, er legt sogar zu: Rolls Royce.

All den Pessimisten und Katastrophenszenario-Beschwörern sei das ins Stammbuch geschrieben: Nein, es gibt keine allumfassende Krise, schon gar nicht in der Automobilindustrie. Nun, da mögen einige Firmen, die vor allem auf Masse statt Klasse gesetzt haben, in Schwierigkeiten kommen, wie GM, Ford, Chrysler und Toyota, aber wer eine vernünftige Modellpolitik betrieben hat und sich nicht dem Wahn hingegeben hat, unbedingt zehntausende oder hunderttausende von Autos pro Monat verkaufen zu müssen, der steht weiterhin gut da.

Sehen Sie sich nur Rolls Royce an: Im Jahr 2008 wird man ein Rekord-Ergebnis einfahren und mehr Autos verkaufen als je zuvor. In den ersten 11 Monaten von 2008 hat man bereits 1055 Wagen verkauft, was einen „deutlich zweistelligen“ Zuwachs bei den Auslieferungszahlen bedeutet. Bis ins Jahr 2010 will man die Verkäufe auf etwa 2000 Einheiten bringen, also praktisch verdoppeln.

Haben etwa Renault und VW recht, die an die 500.000 Autos monatlich verkauften (vor der Krise) oder ist Rolls Royce der Gewinner, der es auf etwa 3 pro Kalendertag bringt? Welches Konzept ist erfolgversprechender, die Massenfertigung in frenetischem Tempo oder die gute alte minutiöse Handarbeit?

Also, boys and girls, nicht vergessen, es gibt da eine Klasse, die in keinerlei Krise steckt – jedenfalls solange wir ihr keine bescheren.


Veröffentlicht am 23. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Das sei ein demokratischer Staat

... wird immer wieder behauptet

Von Karl Weiss

Israel wird wiederholt als „einziges demokratisches Land im Nahen Osten“ bezeichnet. Urteilen Sie selbst:

Ein Russe jüdischen Glaubens, der 1999 nach Israel ausgewandert war, erlebte dort eine Odyssee ohnegleichen, weil seine Tochter christlichen Glaubens war. Sie trug ein Kreuz und wurde dadurch in der Schule Ziel von Anfeindungen von Klassenkameraden. Die Schulleitung behauptete, die Tochter würde den Frieden an der Schule stören und zwang den Mann, nach Hadera umzuziehen, als er sich weigerte, seine Tochter zwangsweise zum jüdischen Glauben übertreten zu lassen.

Die völlige Zerstückelung des palästinensischen Territoriums wird hier deutlich. Das ist keine Besatzung, das ist Annektion.

Doch die Verfolgungen seiner Tochter hörten auch da nicht auf. Am 23. Oktober 2001 wurde sie Opfer eines Terrorattentats. Sie war in der Folge schwer behindert. Das führte zu noch intensiveren Diskriminierungen durch ihre Klassenkameraden, nun auch wegen der Behinderung. Schließlich weigerte sich die Tochter 2002, in die Schule zurückzukehren.

Die Familie versuchte mit Interventionen im Schulamt die Situation zu verbessern, aber ohne Erfolg.

Während Vater und Mutter einen israelischen Pass erhielten, wurde dieser der Tochter verweigert. Sie sei keine Jüdin und könne daher keinen israelischen Pass beanspruchen.

Dagegen klagte der Vater zuerst beim Staatskontrolleur in Jerusalem, dann beim Stab des Aussenministeriums. In beiden Instanzen wurd die Klage abgewiesen. Die Tochter sei keine israelische Staatsbürgerin.

Palestina land loss

Als „Bestrafung“ für die Klagen wurde nun der israelische Staat aktiv. Man teilte dem Vater mit, seine Tochter habe keine Daueraufenthaltsgenehmigung mehr in Israel, sondern nur noch eine zeitweise.

Auf Intervention eines Gemeindeabgeordneten erhielt die Tochter 2002 einen Behindertenausweis, der allerdings nicht den tatsächlichen Umfang ihrer Behinderung abdeckte.

Der Schulrat erklärte dem Vater, er werde dafür sorgen, dass ihm das Sorgerecht entzogen würde, wenn seine Tochter nicht wieder in die Schule käme. Gleichzeitig weigerte er sich, für deren Sicherheit zu garantieren. Er betonte immer wieder,die Tochter müsse nur zum jüdischen Glauben übertreten, dann wären alle Probleme beseitigt.

Zwar kehrte die Tochter im Dezember 2002 in die Schule zurück, aber der Schulrat machte trotzdem eine Eingabe beim Jugendamt, die Tochter dem Sorgerecht der Eltern zu entziehen und sie in ein jüdisches Internat zu bringen.

Daraufhin wurden die Eltern im Februar 2003 zur Polizei bestellt und über ihre Familiensituation befragt.

Syrien: Krak de Chevalier
Kreuzritterburg Krak des Chevalier im heutigen Syrien. Siehe hierzu auch diesen Artikel.

Der erzürnte Vater reichte dann Klagen ein: Im März 2003 beim Innenministerium und im April gegen den Schulrat. Daraufhin erhielt die Familie Drohanrufe und es wurden antichristliche Traktate in den Briefkasten gesteckt. Der Chef des Polizeireviers hatte ihre Anzeige nicht entgegengenommen, sondern riet ihnen, die Tochter zwangsweise zum jüdischen Glauben zu konvertieren.

Als sie sich weigerten, wurde der Tochter im Juni 2003 ihr Behindertenausweis entzogen, was bedeutende Nachteile beinhaltete. Der Gesundheitszustand der Tochter verschlimmerte sich zusehends.

Noch im gleichen Juni wurde die Mutter vom Schulrat persönlich angegriffen und bedroht, wenn sie ihre Klagen nicht zurückzögen.

Im Juli 2003 wurden die Pässe der Eltern eingezogen. Hierzu wurden eigens zwei Polizisten geschickt. Dann erfuhren die Eltern, ihnen werde nun das Sorgerecht für die Tochter entzogen und die Tochter in ein jüdisches Internat gesteckt.

Daraufhin entschied sich die Familie, aus Israel zu fliehen, bevor sie ihre Tochter niemals wiedersähen und sie einem unbekanntem Schicksal ausgesetzt sähen.

Sie konnten nach Frankreich fliehen. Dort wurde ihnen, nachdem diese ganze Odyssee belegt werden konnte, Asyl gewährt – nach einem jahrelangen Verfahren. Das war das erste Mal, dass der französische Staat einen israelischen Staatsbürger als Flüchtling anerkannt hat.

Die Flüchtlingskommission stellte fest, dass die [Tatbestände], „die starkem religiösen Druck auf die Tochter durch verschiedene Behörden entspringen“, „einen schwerwiegenden Eingriff in seine bürgerlichen Grundrechte darstellen und ihn in einen Zustand dauerhafter Unsicherheit versetzt haben.“ Sie haben ihn daran gehindert, „- ohne daß die staatlichen Organe trotz wiederholter Bitte abgeholfen hätten - ein normales Leben in dem Land zu führen, dessen Staatsbürgerschaft er erworben hatte.“

Die Flüchtlingskommission erkannte außerdem an, dass sie bei einer Rückkehr verfolgt werden würden.

Würden Sie das „einen demokratischen Staat“ nennen?


Veröffentlicht am 17. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Montag, 15. Dezember 2008

Hartz IV: Der angeleinte Mensch

Arbeitslose werden zu Delinquenten

Von Karl Weiss

Bereits im Artikel „Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden“ vom 23. November 2007 hatte der Berichterstatter über einen Fall berichtet, in dem eine Leiterin einer „Arbeitsagentur“ sich als „Verfolgungsbehörde“ bezeichnete. War das vielleicht noch ein Ausrutscher, wenn auch ein aufschlussreicher, nun ist es offiziell: Arbeitslose werden exakt wie Straffällige behandelt. Der Text aus einer „Eingliederungsvereinbarung“, wie sie jetzt mit allen Hartz-IV-Empfängern abgeschlossen werden müssen, ist exakt der gleiche, wie ihn vorzeitig auf Bewährung aus der Haft Entlassene unterschreiben müssen.

Hartz-Protest 02

Sehen Sie hier den Text:

„Halten Sie sich innerhalb des zeit-und ortsnahen Bereiches auf, muss sichergestellt sein, dass Sie persönlich an jedem Werktag an ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von Ihnen benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichbar sind.

Sie sind verpflichtet Änderungen (z.B. Krankheit, Arbeitsaufnahme, Umzug) unverzüglich mitzuteilen und bei einer Ortsabwesenheit vorab die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners einzuholen.

Bei einer unangemeldeten unerlaubten Ortsabwesenheit entfällt der Anspruch auf Arbeitslosengeld II, auch bei nachträglichem Bekanntwerden. Wird ein genehmigter auswärtiger Aufenthalt unerlaubt verlängert, besteht ab dem ersten Tag der unerlaubten Ortsabwesenheit kein Anspruch auf Leistung mehr. Nähere Informationen finden Sie in Kapitel 13.3 des Merkblatts "Arbeitslosengeld II/Sozialgeld“.


Hartz ueber Hartz IV. Dass die Arbeitslosen nur ein Jahr Arbeitslosengeld bekommen, 'ist ein grosser Fehler, ein Betrug ... an denen, die jahrelang eingezahlt haben.'

Mag man dies für einen vorzeitig, vor Abbüßen seiner Strafe, aus der Haft entlassenen noch als hinnehmbar betrachten – dort ist es ja auch nur zeitlich begrenzt, nämlich bis zum Ablauf der Bewährungsfrist – so ist die Anwendung dieser „Hundekette-Regel“ für Menschen eines freiheitlichen Landes, die nur das Schicksal traf, keine Arbeit zu finden, offensichtlich unmenschlich. Findet er keine Arbeit, ist dies ja „lebenslänglich“. Er liegt an der Leine wie ein Hund – auf Dauer.

Man stelle sich nur einmal die Szene vor, wenn ein so mit der Hundekette-Regel angeleinte Mensch krank wird und ins Krankenhaus in der nächsten Kreisstadt eingeliefert werden muss. Während ein Teil der medizinischen Equipe des Krankenwagens um das Leben des Patienten kämpft, muss der andere Teil versuchen, die Vorabzustimmung des „persönlichen Ansprechpartners“ in der ARGE für den Ortswechsel zu bekommen. Da der aber gerade auf der Toilette ist, kann man ihn leider nicht ans Telefon holen.

Weg mit Hartz IV

Als nach zwanzig Minuten dann schließlich die Genehmigung vorliegt, ist der Patient im Krankenwagen schon gestorben – und das war es denn ja wohl auch, was Merkel und Steinmeier mit der neuen Anlein-Regel erreichen wollten. Tote liegen dem Staat nicht mehr auf der Tasche.

Das ist besonders notwendig in Zeiten, in denen die Gelder des Bundes für wichtigere Dinge gebraucht werden, so zum Beispiel für die Rettung von Banken, die sich verzockt haben.

Hartz-Protest 01

Da passt es gut in die Landschaft, dass in Bayern unter Seehofer und mit FDP-Unterstützung die Zahlungen an die marode Landesbank so hoch sein werden, dass alles Geld fürs Soziale „einer Überprüfung unterzogen werden muss“, sprich: Es wird gestrichen werden.


Veröffentlicht am 15. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

Andere Artikel zur Hartz IV im Blog:

"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"

"5 Millionen Arbeitslose einstellen"

"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"

"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"

"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."

"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"

"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"

"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"

"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"

"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"

"Hartz IV–Empfänger müssen kalt duschen, im Dunkeln sitzen und Wasser trinken"

"Hartz IV: Vertreibung von Mietern"

"Hartz IV–Betroffene: Daumenschrauben anziehen!"

"Hartz-IV: Jetzt auch noch Sippenhaft"

"Hartz IV: Nieder auf die Knie!"

"Kein Anspruch auf fabrikneue Kleidung"

"Hartz IV: Unter den Brücken schlafen?"

"Hartz IV: Der Fall Brigitte Vallenthin"

"Hartz und Hunger – Vier Episoden"

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