Brasilien plant völlige Umstellung auf Biodiesel

Bis 2020 ohne fossilen Treibstoff

Von Elmar Getto

„Brasilien begeistert über Biodiesel-Präsidenten" titelte die „Sächsische Zeitung". Das ist aber nicht so. Präsident Lulas Popularität ist vielmehr völlig unabhängig vom beschlossenen Bio-Diesel-Programm. Daß er beschlossen hat, dem Diesel in Brasilien zunächst ab 2007 zwei Prozent Bio-Diesel beizumischen und bis 2020 überhaupt keinen Treibstoff aus fossilen Quellen mehr zu verwenden, hat man dort kaum zur Kenntnis genommen.

Überhaupt ist man sich in Brasilien wenig bewußt, daß das Land absoluter Vorreiter auf dem Gebiet der Kraftstoffe aus erneuerbaren Quellen ist. Die Frage der Erneuerbarkeit der Quellen, ebenso wie die Tatsache, daß Autos, die mit Alkohol aus Zuckerrohr fahren, kein zusätzliches Kohlendioxid ausstoßen, hatte nämlich gar keine Rolle gespielt, als Brasilien in den Siebziger Jahren mit den Alkohol-Autos anfing.

Die Begründung damals war die Frage der Verringerung der Abhängigkeit von Rohöl-Einfuhren, die Anfang der Siebziger Jahre deutlich teuerer geworden waren.

Nun ist Brasilien aufgrund dieser und anderer Maßnahmen wie auch aufgrund der Erschließung eigener Erdölquellen in großen Feldern vor den Küsten des Landes im Jahr 2006 zum ersten Mal Selbstversorger beim Öl geworden (d.h. die Importe und Exporte halten sich die Waage), doch auch dieses epochemachende Ereignis ist an der brasilianischen Öffentlichkeit fast ohne Kenntnisnahme vorüber gegangen.

Über die Einweihung einer der Fabriken für Biodiesel (in diesem Fall aus Sonnenblumen, mit einem zukünftigen Tagesausstoß von 45.000 Litern) im Bundesstaat Minas Gerais in Anwesenheit des Präsidenten wurde nur in einem dürren Satz berichtet. Ab 2008 soll der Dieselkraftstoff 5 % Biodiesel enthalten, dann ab 2013 20 %. Im Jahr 2020 soll in Brasilien überhaupt kein Kraftstoff auf fossiler Basis mehr verwendet werden.

Im Moment sind 45 neue Fabriken für Biodiesel im Bau oder geplant. Die Finanzierungen werden über eine der staatlichen Entwicklungsbanken durchgeführt. Basis können die Sojafrucht, die Rizinusfrucht, Palmöl, Sonnenblumen oder Frittierölabfälle sein. Von Raps ist bisher in Brasilien noch keine Rede.

Damit wird Brasilien das Pionierland für Biodiesel, Deutschland, bald überholt haben, speziell, da hierzulande die Bundesregierung als Geisterfahrer auf der Gegenspur des Fortschritts unterwegs ist und eine Besteuerung des Biodiesels angeordnet hat.

Ein sehr ähnliches Programm ist auch in Schweden bereits im Gange, ebenfalls, wie in Brasilien, auf der Basis der „Flex-Fuel-Autos", die mit jeder beliebigen Mischung von Benzin und Alkohol fahren können, ebenfalls unter Verwendung von Biodiesel und ebenfalls mit dem Ziel des vollständigen Ersatzes bis 2020.

Auch Deutschland oder die ganze EU könnten sofort und jederzeit mit einem solchem Programm bis 2020 anfangen (und würden damit noch die Kassen entlasten, die mit Milliarden von Euros monatlich landwirtschaftliche Produkte subventionieren, die niemand will), angesichts der ungeheuren Mengen von Erdöl, die die meisten EU-Länder einführen müssen, eine Erleichterung nicht nur für die Umwelt und den Geldbeutel des Autofahrers, sondern auch und gerade für die Staatskassen.

Aber weit gefehlt. Statt dessen redet man über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Demnächst wird man die Dampfmaschinen wieder aus den Museen holen und anwerfen. Alles - nur keine erneuerbaren Energien! Die Interessen der gigantischen Öl- und Energiekonzerne gehen vor.

In Brasilien nimmt die Menge von Diesel im Verhältnis zu Benzin einen großen Raum ein, obwohl es keine Diesel-Personenwagen gibt. Da aber dieses riesige Land, in der Fläche vergleichbar mit ganz Europa, so gut wie keine Eisenbahnen besitzt, muß fast der gesamte Warentransport der zwölfgrößten (oder neuntgrößten) Ökonomie der Erde mit Lastwagen bewältigt werden und auch fast der ganze Personentransport zu Land ist auf Omnibusse angewiesen.

In Brasilien macht der Anteil von fossilen Energieträgern zur Stromgewinnung unter 10% aus und davon sind auch noch die meisten Erdgaskraftwerke. Die Stromgewinnung aus Kohle macht weniger als vier Prozent der Stromkraftwerke aus. So etwas schmutziges wie Kraftwerke auf Braunkohlen- oder Schwerölbasis gibt es überhaupt nicht. Das bedeutet, daß Brasilien bis zum Jahr 2020 zu einem wichtigen erdölexportierenden Ländern werden wird.

Spricht man mit Brasilianern, so hören sie mit großem Staunen, daß ihr Land international zu einem beachteten Vorbild geworden ist, insbesondere, was die Vermeidung von zusätzlichem Kohlendioxid-Ausstoß betrifft. Schon jetzt ist Brasilien in dieser Hinsicht nicht nur allen Industrieländern überlegen in Bezug auf Kohlendioxid-Ausstoß pro Einwohner und pro Dollar Brutto-Sozialprodukt, sondern ist auch führend unter den großen Entwicklungsländern.

Man höre nur, was der Analyst Andres Oppenheimer im „Miami Herald" hierzu schreibt: Wenn Präsident Bush seine Sorgen um den Erdölpreis loswerden wolle, müsse er sich Brasilien zum Vorbild nehmen. Allerorten sei das Interesse am Modell Brasilien erwacht. „Egal ob die Autos mit Wasserstoff, Alkohol, Strom oder Biodiesel fahren", meint Oppenheimer. „Es ist auf jeden Fall absurd, daß Bush (umgerechnet) 65 Milliarden Euro jährlich für den Krieg im Irak ausgibt und nur 290 Millionen Euro in die Entwicklung eines Wasserstoffautos investiert."

Was bisher in den USA und in Europa (außerhalb Schwedens) zur Umstellung der Energieversorgung und speziell der Kraftstoffversorgung getan wird, kommt nicht über ein paar Alibi-Aktivitäten hinaus, damit niemand sagen kann, man täte gar nichts.

Brasilien dagegen ist auch in anderer Hinsicht Vorreiter. Seit 2005 sind in Brasilien die ersten wasserstoff-getriebenen Busse im Einsatz. Der brasilianische Embraer-Flugzeug-Konzern, erst letztlich privatisiert, einer der zwei großen weltweiten Hersteller von Kleinflugzeugen, hat in diesem Jahr das erste Kleinflugzeug erprobt, das mit Alkohol fliegt und stellt es bereits serienmäßig her.

Dieser Artikel wurde in der ursprünglichen Form am 11. Oktober 2005 in "Rbi-aktuell" veröffentlicht. Hier wird er in einer vom Autor aktualisierten Version vorgestellt.


Hier eine Anzahl Links zu anderen Artikeln im Blog zur beginnenden Klimakatastrophe und was man dagegen tun kann:

- Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 1 – Bill Gates und George Soros investieren in Alkohol

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 2 – Was spricht gegen Bio-Kraftstoffe?

- Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 3 – Der 'Rush' gewinnt an Tempo

- Das Klima kann nicht warten – Offener Brief an „Rettet den Regenwald“

- Wie die Industrie der „Global Warming Sceptics“ funktioniert

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 4 - Endlich auch Bio-Alkohol in der Bundesrepublik

- Kofi Annan: Keine Gegenargumente mehr

- Lulas Brasilien, Teil 4 – Abholzen und Abbrennen

- Klimakatastrophe: IPCC-Report klammert entscheidende Frage aus

- Stärkster Hurricane aller Zeiten

- Wie wird der Verkehr der Zukunft angetrieben

- Naive Umweltschützer geben Massenmedien Stichworte

- Briefwechsel mit „Rettet den Regenwald“

- Ein deutscher ‚Global Warming Sceptic’

- Klimahetzer? – Klimaketzer? Eine Auseinandersetzung um die beginnende Klimakatastrophe

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Trackbacks zu diesem Beitrag

Locally - 17. Apr, 14:10

MdB Georg Nüsslein: Besteuerung von Biodiesel muß überprüft werden

Anläßlich zunehmender Absatzschwierigkeiten... [weiter]

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