Brasilien

Dienstag, 3. Juni 2008

UN-Berichterstatter: Rio hat Sicherheitspolitik der Ausrottung

Polizisten foltern in der Freizeit Reporter

Von Karl Weiss

Der UN-Berichterstatter für summarische, willkürliche und außergerichtliche Hinrichtungen, Phillip Alston, hat im November 2007 Rio de Janeiro besucht und hat sich über die Sicherheitspolitik der Landesregierung informiert, der die Polizei untersteht. Er legte am Montag, den 2. Juni 2008 den vorläufigen Bericht darüber auf der Eröffnungssitzung des Menschenrechtsrates der UNO in Genf vor.

Favela in Belo Horizonte

Der Autor hatte Zugang zu einer Zusammenfassung des Berichts.

Wie um seinen Bericht zu unterstreichen, wurde in der vergangenen Woche bekannt: „Milicias“, wie sich Gruppen von Polizisten und Ex-Polizisten nennen, die ähnlich wie organisierte Kriminelle Favelas beherrschen und die Einwohner tyrannisieren, haben Mitarbeiter der Rio-Zeitung „O Dia“ als Geiseln genommen, verprügelt und gefoltert.

In jener Zusammenfassung des UN-Berichts werden vor allem die „Feldzüge“ in einem bestimmten Favela-Komplex hervorgehoben („Complexo de Alemão“), die sich über etwa ein Jahr lang wiederholten. Diese Feldzüge sind mit großem Polizeiaufwand (gepanzerte Fahrzeuge, Maschinenwaffen usw.) vorgetragene Eroberungszüge den Hügel hinauf (die Favelas in Rio de Janeiro sind meistens auf Hügeln gelegen), die üblicherweise damit begründet werden, es müssten bestimmte Führer der kriminellen Banden festgenommen werden, die sich meist auf den höchsten Stellen der Hügel verschanzt haben.

In der Operation im Juni 2007 wurden 19 Personen umgebracht und danach erklärten die Verantwortlichen der Sicherheitspolitik in Rio, dies sei eine Modell-Operation gewesen. Tatsächlich entwickelte sich diese Art des Vorgehens zum Modell: Im Januar 2008 wurde wieder der gleiche Hügel in Angriff genommen, mit dem Ergebnis von sechs Toten, erneut im 3. April: 11 Tote und wieder am 15. April: 15 Ermordete.

Danach, so wird berichtet, erklärte einer der obersten Verantwortlichen, die Polizei sei das beste „soziale Insektizid“, die Ermordeten mit Insekten vergleichend.

Der Berichterstatter der UN hatte Gelegenheit, mit den Bewohnern der Favela zu sprechen, mit Opfern, mit Familienangehörigen, sozialen Organisationen, wie auch mit Polizisten, mit Verantwortlichen der Polizei und mit den politisch Verantwortlichen. Er hebt hervor, die Toten waren nicht Ergebnis des intensiven bewaffneten Widerstandes bei der Besetzung des Favela, wie die Verantwortlichen in allen Fällen behaupten. Es wurden keine Polizisten getötet und nur wenige verletzt.

Es handelte sich schlicht um das Ergebnis der Taktik, auf alles zu schiessen, was Füsse hat – und das in einer dicht mit Menschen vollgepackten Favela. Die Überprüfung der Berichte der Gerichtsmediziner über die Leichen ergab eindeutig: Der grösste Teil wurde aus nächster Nähe erschossen und viele wiesen Schüsse in den Rücken, den Nacken und den Hinterkopf auf. Diese Tatsache wurde später in den offiziellen Berichten unterdrückt.

Alston charakterisiert dies als summarische, außergerichtliche Hinrichtungen, die wegen der hohen Anzahl als „Sicherheitspolitik der Ausrottung“ bezeichnet werden müssten. Wen er dies bereits als Ausrottung bezeichnet, was würde er dann sagen, wenn er die israelischen Schlächtereien untersuchte?

Er hebt hervor, dass die Ergebnisse der mehrmaligen Einfälle in die Favela völlig unzureichend waren. Weder wurden die gesuchten Verbrecher angetroffen noch wurden irgendwelche illegalen Stoffe, wie Waffen oder Drogen in erwähnenswerten Mengen gefunden und beschlagnahmt. Trotzdem bestehen die Polizei-Oberen und die Verantwortlichen, wie der Governeur des Staates Rio, der Minister für Sicherheit und der zuständige Staatssekretär darauf, dies sei die richtige Methode des Vorgehens gegen die kriminellen Organisationen, welche die Favelas beherrschen.

Alston betont, dass diese Methode der Sicherheitspolitik sich bereits in vielen Ländern als völlig kontra-produktiv erwiesen hat. Obrigkeitsstaatliche, gelegentliche Gewaltausbrüche, die jeden treffen können, ob Krimineller oder nicht, waren schon zu den Zeiten der Obrigkeitsstaaten unsinnig im Sinne der Eindämmung der Verbrechen.

Er sagt, dass in den Fällen krimineller Gross-Organisationen, die ganze Stadtviertel beherrschen, moderne Sicherheitspolitik angebracht ist, die auf vielen Hochschulen gelehrt wird. Er bezieht sich dabei u.a. auf unabhängige Untersuchungen von Tötungen durch Polizisten, auf die Bezahlung der Polizisten, auf technische Beweissicherung, auf Schutz für Opfer und Zeugen, auf eine institutionalisierte Polizei-Beschwerde-Stelle und auf das System der Gefängnisse.

Neben der Unterdrückung und Verfolgung der Verbrecher muss eine städtebauliche Politik durchgeführt werden, die den Slum-Charakter der Stadtteile aufhebt, es müssen Arbeitsplätze fur die Bewohner geschaffen werden und es muss durch intensive Durchsetzung mit staatlichen Hilfen und den Aufbau unabhängiger eigener Sprecher und Sprecherkreise der Bewohner in den betroffenen Stadtteilen der Schild-Charakter der Einwohner genommen werden, den solche kriminellen Organisationen sich zu nutze machen.

Eine entsprechende Politik wird in Rio de Janeiro nicht einmal ansatzweise versucht.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Alston sagt, diese Art von Sicherheitspolitik durch Ausrottung sei politisch motiviert. Für die Bevölkerung, die unter den Kriminellen leidet, ist vordergründig eine Ausrottungspolitik, die sich scheinbar gegen die Kriminellen richtet, erwünscht. Die Politiker stellen sich als Männer der harten hand dar und werden gewählt bzw. wiedergewählt. Nur ist dieses Vorgehen eben nicht wirksam gegen die kriminellen Organisationen.

Tatsächlich steigt die Zahl der schweren Delikte, wie Morde, bewaffnete Raubüberfälle und Geiselnahmen, in Rio weiterhin an.

In einem Teil seines Berichtes bezieht sich Alston speziell auf den Widerspruch als Schlüsselfrage, dass sich die Polizei einerseits in solchen Vorgehen der übertriebenen und nicht effektiven Gewalt bedient, während die gleichen Polizisten in ihrer Freizeit oft Teil der organisierten Kriminalität sind.

Genau dieser letzte Punkt wurde nun, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, mit aller Deutlichkeit bestätigt.

Es haben sich in Rio de Janeiro eine Anzahl von Gruppen von sogenannten ‚Milícias‘ gebildet, die eine Widerspiegelung der bereits bekannten Exterminationsgruppen sind. Sie setzen sich aus Polizisten, Ex-Polizisten und einigen anderen zusammen. Diese haben bereits in einer beträchtlichen Anzahl von Favelas (Rio hat etwa 600 Favelas) die kriminellen Organisation vertrieben und beherrschen dort jetzt selbst die kriminelle Unterwelt mit Drogen, 'Schutzgeldern' und nicht zuletzt Geldwäsche.

In einer dieser Favelas, Batan, wurde ein Reporter der Zeitung ‚O Dia‘ überwältigt, der über die Milícia recherchierte, zusammen mit einem Fotografen des Blattes, mit deren Fahrer und einem Bewohner der Favela von mehr als zehn mit Kapuzen unkenntlich gemachten Kriminellen. Sie wurden mit Handschellen gefesselt und offiziell als verhaftet erklärt. Die Vermummten wiederholten mehrmals, sie seinen keine Kriminellen, sondern Polizisten.

Es folgte eine Sitzung vom mehreren Stunden der Folter. Allen vier Betroffenen wurde immer wieder gesagt, sie würden nun zu Tode gefoltert, weil sie die gute Arbeit der Polizei schlecht machten. Die Zeitungsleute wurden grün und blau geprügelt und wurden einer nach dem anderen Elektro-Schocks ausgesetzt. Ihnen wurden Plastiktüten über den Kopf gestülpt, bis sie keine Luft mehr hatten und ohnmächtig wurden. Dann wurden sie mit Schlägen wieder aufgeweckt.

Einige der Folterer spezialisierten sich darauf, mit schweren Stiefeln Tritte zu geben. Der Reporter wurde gezwungen, das Material zugänglich zu machen, das er bereits über die Milicia gesammelt hatte. Dort war klar zu sehen, wie die Mitglieder der Bande, Polizisten in Zivil, sich immer wieder mit Polizisten im Dienst trafen und unterhielten und bewiesen, es handelt sich nicht nur um kleine Gruppen, sondern die offizielle Polizei-Politik der Stadt. Die Vermummten waren sich klar, dies Material würde viele von ihnen identifizieren und war bereits bei der Zeitung. Nach einigen Stunden weiterer Folter wurden die vier plötzlich freigelassen.

Sie hatten nicht den Mut zur Polizei zu gehen mit ihren Verletzungen, weil sie wussten, dort würden sie mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Verbündete ihrer Folterer treffen. Erst mehrere Monate nach der Tat wurde sie jetzt veröffentlicht, weil man sich sicher war, die Polizei bis in höchste Stellen war in diese Taten eingeweiht und würde nicht untersuchen, sondern die Anzeige unterdrücken. Man befürchtete auch Gegenanzeigen mit erfundenen Beschuldigungen.

Erst jetzt, nach einer Vereinbarung des Gouverneurs des Staates mit der Chefredaktion von ‚O Dia‘, brachte man das Geschehen ans Tageslicht.

Die eigentliche Reportage wurde bis heute nicht veröffentlicht.

Bleibt noch zu erwähnen, der Hauptverantwortliche für all dies, der Gouverneur des Staates Rio, mit Namen Cabral, ist einer der engsten und wichtigsten politischen Verbündeten von Präsident Lula.


Veröffentlicht am 3. Juni 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Freitag, 18. April 2008

Neues riesiges Erdölfeld vor der brasilianischen Küste?

Brasilien: Wirtschafts-Boom

Von Karl Weiss

Hatte man noch vor kurzem gehört, in Brasilien wurde ein neues, großes Erdölfeld im Meer vor der Küste des Staates São Paulo gefunden („Brasilien wird Erdölland“), so gibt es nun schon wieder Neuigkeiten. Es ist heraus gesickert: Ein noch weit größeres Feld wurde, ebenfalls im Meer weit von jeglichem Land, vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro gefunden. Es soll angeblich das größte Feld sein, das seit dreißig Jahren auf der Welt gefunden wurde. Zusammen mit diesem Feld könnte Brasilien bis 2020 in die Reihe der wichtigen Erdölproduzenten und -exporteure aufrücken.

Erdöl

Aus noch zu klärenden Gründen hat der Chef der staatlichen brasilianischen Ölbehörde am 14.4.2008 verlauten lassen, die brasilianische halbstaatliche Petrobras habe eines der mächtigsten Erdölfelder aller Zeiten gefunden (genau gesagt: das drittgrößte, geschätzte 33 Billionen Barrel). Noch am gleichen Tag reagierte die Petrobras. Sie dementierte nicht, sagte aber, es handele sich lediglich um erste Hinweise. Die tatsächliche Gehalt des Feldes müsse erst noch bestätigt werden. Das ist immerhin ein bemerkenswertes Nicht-Dementi.

Logo Petrobras

Gehorsam machte der Kurs der Petrobras-Aktien einen Sprung nach oben. Eventuell war diese Ankündigung genau zu diesem Zweck gemacht worden, um mit Aktienspekulationen Geld zu verdienen.

Wie auch immer, es ist keineswegs überraschend, dass es dort noch mehr Öl gibt, denn es handelt sich um die gleiche geologische Formation wie die des vorherigen Fundes.

Die beiden Felder liegen weit draußen im Meer, in Wassertiefen von etwa 3000 - 4000 Metern, wobei das Erdöl noch einmal Kilometer unter dem Meeeresboden liegt. Man wird in diesem – wie auch dem vorher gefundenen – Feld von einer Tiefe vom Bohrschiff bis zum Öl von etwa 7 Kilometer ausgehen müssen. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, solches Erdöl zu fördern.

Die Petrobras hat aber zusammen mit spezialisierten Firmen (darunter Halliburton) in diesen Jahren so grundlegende und schnelle Fortschritte in der Explorations- und Fördertechnik aus grossen Wassertiefen und grossen Tiefen unter dem Meeresboden gemacht, dass es heute bereits möglich ist, an ein Erschliessen solcher Vorkommen zu denken, wenn auch der Aufwand enorm ist.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Der Verfasser dieser Zeilen hatte in seiner Zeit in Rio de Janeiro die grosse Ehre, einen der führenden Spezialisten in diesen Tiefwasser-Förderungen persönlich kennenzulernen, den Italiener Vincenzo Russo, der Anfang dieses Jahres leider vorzeitig verstorben ist. Dessen Sohn ist gerade dabei zu versuchen in seines Vaters Fusstapfen zu treten.

Da trifft es sich gut, dass der Rohölpreis entgegen allen Voraussagen von Rekord zu Rekord eilt. Am Tag der Bekanntgabe wurde gerade die Grenze von 111 Dollar pro Barrel überschritten.

In Niteroi im Bundesstatt Rio de Janeiro hat sich alles etabliert, was für Tiefsee-Ölprospektion und –förderung Rang und Namen hat, darunter einige Werften, die spezialisiert sind auf Bohr- und Förderschiffe. Bei solchen Wassertiefen kann man natürlich nicht mehr mit Plattformen arbeiten, die auf dem Meeresboden stehen, sondern muss mit schwimmenden Plattformen bohren und fördern. Das Erforschen, Bohren und Schiffebauen bis zur Förderung dauert unter den genannten Bedingungen etwa 7 Jahre. Nun, was tut man nicht alles, um der Erde noch die letzten Tropfen des schwarzen, schmierigen Nasses zu entlocken.

Brasilien (topographisch)

Sollten sich tatsächlich die vermuteten Grössenordnungen der beiden neuen Entdeckungen bewahrheiten, könnte Brasilien bis zum Jahre 2020 zu den grossen Erdölförderländern gehören, wie auch zu den grossen Exporteuren, wie etwa Saudi-Arabien, der Iran und Venezuela. Die spanische ‚El Pais‘ sieht Lula sogar schon als ‚neuen Ölscheich‘.

Erdöl 1

Das trifft sich zufällig mit anderen Nachrichten, die in Brasilien zum Köpfen einiger Champagnerflaschen führten. Die Wirtschaft brummt und im Gegensatz zu Deutschlands angeblichem „Boom“ kommt auch etwas davon unten beim kleinen Mann an. Die brasilianischen Lebensmittelsupermärkte melden seit etwa 10 Monaten Monat für Monat Umsatzsteigerungen im Bereich zwischen 20 und 32% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das heisst, Brasiliens “kleiner Mann“ hat mehr Geld auszugeben und kauft mehr und höherwertige Lebensmittel.

Chávez und Lula

Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin katastrophal hoch, aber die Zahl der offiziellen Arbeitsplätze steigt seit zwei Jahren deutlich an. Auch jene Brasilianer, die sich mit Gelegenheitsarbeit über Wasser halten, die hausieren oder sich auf andere Weise ein kleines Einkommen sichern, haben mehr zu tun, mehr Geld und mehr auszugeben.

Mit Präsident Lulas Programm „Familien-Stipendium“ (bolsa família) und zwei anderen Programmen wurde der Hungertod in Brasilien fast vollständig ausgerottet. Familien (das heisst fast immer: Mütter) mit Kindern bekommen,wenn sie bedürftig sind und die Kinder im Schulalter die Schule besuchen, eine Art von Lebensmittelgutschein im Wert von (im Moment) 79 Reais pro Kopf (das sind etwa 30 Euro) monatlich. Die Umrechnung in Euro ist allerdings nicht korrekt, denn sie wurde über den Wechselkurs gemacht. Lebensmittel kosten aber in Brasilien weit weniger als entsprechend der Umrechnung in Euro. Ein Beispiel: Brasiliens Grundnahrungsmittel Reis kauft man hier bei Sonderangeboten zu 6 oder 7 Reais für das Paket mit 5 kg, also etwa 1,2 bis 1,4 Reais pro Kg (das wären nach der Umrechnung 45 bis 52 Cents pro Kilo).

Viele Menschen leben zwar weiterhin in Favelas oder abgelegenen ländlichen Elends-Siedlungen ohne menschenwürdige Bedingungen, haben aber wenigstens etwas zu essen. Die typischen Armutskrankheiten sind aber weiterhin allgegenwärtig und führen zu häufigen Todesfällen, speziell bei Kindern. Dies auch und gerade wegen des desaströsen Zustands, in dem sich das öffentliche Gesundheitswesen Brasiliens befindet.

Trotzdem haben aber Programme wie ‚bolsa família‘ und andere das Ansehen Lulas auf neue Höchstwerte gebracht. Seine Zustimmungsquote in Umfragen in Brasilien lässt sich nur noch mit der Putins in Russland vergleichen. Könnte er 2010 für eine dritte Amtszeit kandidieren, wäre sein Wiederwahl sicher. Auf seine Partei PT hat allerdings fast nichts von diesem Ansehen abgefärbt. Die konservative Opposition rechnet sich jetzt bereits einen leichten Sieg bei jenen Präsidentenwahlen aus und will Brasilien wieder auf den Weg der unterwürfigen Merkel-Politik gegenüber den Vereinigten Staaten zurückführen.

Die Automobilindustrie Brasiliens meldet ein Rekordergebnis nach dem anderen. Die zuletzt gemeldeten Steigerungsraten des Auto-Absatzes liegen imSchnitt bei 30% gegenüber dem Vorjahresmonat.



Wie schon gemeldet, wird das Werk des Autoherstellers mit der höchsten Zahl von verkauften Autos, Fiat (hier im Grossraum Belo Horizonte), gerade auf eine Tagesproduktion von 5200 Wagen ausgeweitet, was den größten Einzelstandort aller Automobilwerke auf der Welt bedeuten wird.

Das Bruttosozialprodukt (genau gesagt: Gross National Product) Brasiliens stieg letztes Jahr etwa 5% real und für dieses Jahr wird erneut einWachstum in dieser Grössenordnung erwartet. Das kann zwar nicht mit den Wachstumsraten der anderen BRIC-Länder mithalten (Brasilien, Russland, Indien, China, die vier ‚emerging countries‘), aber es ist ein „gesundes“ Wachstum, denn es beruht hauptsächlich auf gestiegenem Inlands-Konsum.

Aber die wirklich großen Gewinners des brasilianischen Booms sind natürlich die Reichen und Superreichen. Zum Beispiel jene, die vom vorherigen Präsidenten Cardoso für einen Appel und ein Ei die damals staatliche Minengesellschaft „Compania Vale do Rio Doce“ nachgeworfen bekamen, heute die Privatfirma mit den höchsten Gewinnen in ganz Lateinamerika. Diese Firma hat sich jetzt in ‚Vale‘ unbenannt und besitzt die meisten „Goldgruben“ in Brasilien. Was aber die wahnwitzigen Gewinne ausmacht, ist gar nicht so sehr das Gold, es ist vielmehr hauptsächlich das Eisenerz.

Gold

Die Vale besitzt die größten Eisenerzvorkommen auf der Welt und verkauft das meiste Eisenerz auf der Welt. Brasilien ist der größte Exporteur von Eisenerz. Die Mengen an Eisenerzvorräten hier im Bereich des Zentrums des Staates Minas Gerais, von dem aus dieser Artikel geschrieben wird, sind so gigantisch, dass man im Moment ein riesiges Förderband in Planung hat, das von hier zur Küste in Rio de Janeiro führen wird, über 450 km!

Die Vale hat vor einem Monat bekanntgegeben,ihre Eisenerzkontrakte mit den Stahlwerken der Welt für 2008 (es werden jeweils Jahreskontrakte abgeschlossen) seien mit Preisen um 69% höher als 2007 abgeschlossen worden, das besonders begehrte hochprozentige Eisenerz aus Carajás im Amazonasgebiet sogar um 75% höher als im Vorjahr!

Da kann sich der Verbraucher weltweit auf einen Sprung nach oben in der Inflation gefasst machen – und das gerade jetzt, da die Weltwirtschaft beginnt, in eine Wirtschaftskrise abzustürzen.

Es sind also nicht nur die Lebensmittelpreise, die steigen. Brasilien profitiert aber auch von diesen Steigerungen. Die Preise für Sojaöl z.B., sind glatt um die Hälfte gestiegen – und Brasilien ist auch der größte Exporteur von Soja und Sojaprodukten.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Genau in diesem Moment ist Erntezeit für Soja (hier ist jetzt Herbst) und die tagelangen Schlangen von Soja-Lastwagen vor dem hauptsächlichen Soja-Ausfuhrhafen Paranaguá im Bundestaat Paraná sind bereits Legende.

Die Freudentränen bei der brasilianischen Oligarchie fliessen also reichlich, aber hier fallen auch einige Brosamen für die Mittelschicht und die Armen ab.


Veröffentlicht am 18. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Montag, 28. Januar 2008

Besiegte Krankheiten kehren zurück - Gelbfieber in Brasilien

Liebe in den Zeiten des Gelbfiebers

Von Karl Weiss

Einer der wichtigen Romane des großen lateinamerikanischen Dichters und Schriftstellers Gabriel Garcia Marques ist „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“. Dies Werk des kolumbianischen Nobelpreisträgers, sicherlich eine der schönsten Liebesgeschichten der Literatur, erschien 1985 und blieb für lange Zeit in vielen Beststellerlisten.

Letztes Jahr kam die Geschichte als Film heraus, unter Regie von Mike Newell. Der Start des Films in Deutschland ist für den 21. Februar 2008 vorgesehen. Wer Näheres zum Film wissen will, hier ist der Link.

Die Cholera, eine Krankheit, die zu Zeiten des Romans, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, noch eine wichtige Rolle spielte, ist heute nur noch in wenigen Fällen eine wirkliche Gefahr. Das Cholera-Bakterium kann mit Antibiotika bekämpft werden. Das Gelbfieber dagegen, eine Krankheit, die von einem Virus übertragen wird, ist unheilbar und in 70% der Fälle tödlich. Das einzige Mittel dagegen ist die Impfung. Gleichzeitig ist diese Impfung eine der risikoreichsten von allen.

In Marques Roman erscheint die Cholera im Hintergrund, immer als dunkle Bedrohung. So ähnlich fühlt man sich heute in Brasilien, wenn man liebt, wie der Berichterstatter. Das Gelbfieber steht drohend am Horizont, so wird die Liebe um so bedeutender. „Carpe diem“.

Brasilien (topographisch)

Das Gelbfieber hat eine sogenannte wilde Form, die von einer Mücke mit Namen Haemagogus übertragen wird. Sie betrifft hauptsächlich wilde Tiere und nur in Ausnahmefällen Menschen, die sich in wilden, entlegene Gegenden aufhalten. Diese Form ist der Grund, warum allen Reisenden ins Amazonasgebiet die Impfung empfohlen wird.

So gibt es in Brasilien denn auch jedes Jahr in solchen Gegenden, fern jeder Zivilisation, Fälle von Infektionen und Toten durch Gelbfieber.

Die andere Form der Krankheit aber, das „städtische“ Gelbfieber, kann sich aus dieser Wildform entwickeln. Dieses Gelbfieber wird von der Mücke Aedes aegypti übertragen, dem Überträger des Denge-Fiebers - ein guter Bekannter fast aller Brasilianer. In diesem Moment, als diese Zeilen geschrieben werden, summt eine Mücke dieser Art um den Berichterstatter. Im Gegensatz zu deutschen Mücken sind die Dinger unheimlich schwer zu erschlagen.

Moskito Aedes aegypti

Es sind Mücken, etwas kleiner als unsere Deutschen, deren Beine schwarz-weiss gestreift sind – daher leicht zu erkennen.

Nun hat sich, zum ersten Mal in Brasilien seit den Zeiten des 2. Weltkriegs, ein solcher Stamm des Gelbfieber-Virus entwickelt, der von der Aedes-Mücke übertragen wird.

Der erste städtische Gelbfieber-Tote wurde in Brasiliens Hauptstadt Brasilia Anfang Januar registriert. Bis heute (23.1.08) sind es bereits 9 bestätigte Todesfälle durch Gelbfieber. Weitere 14 verdächtige Fälle sind in Untersuchung. Drei Personen haben sich bereits von der Erkrankung erholt oder sind auf dem Wege der Besserung.

Der erste Ausbruch scheint im ländlichen Gebiet des Bundestaates Goiás stattgefunden zu haben, das ist jener ländliche Staat im Landesinneren, der die Hauptstadt Brasilia umgibt. Der erste Todesfall war ein Tourist aus Brasilia, der sich in einem geschützten Erholungsgebiet von Goiás aufgehalten hatte und in einem Krankenhaus in Brasilia verstarb.

Das letzte Mal vorher, dass in Brasilien jemand an „städtischem“ Gelbfieber verstorben war, war 1942.

Erst am 10. Januar kam die Nachricht, es handelte sich wirklich um städtisches Gelbfieber. Die Brasilianer in fast allen Staaten und Regionen wurden aufgerufen, sich impfen zu lassen. Speziell in Goiás sind heute schon viele Einwohner geimpft. Allerdings ging dem Staat der Impfstoff aus und der staatliche Gesundheitssekretär von Goias erklärte, nun würde nur noch geimpft, wer ein staatliches Impfbuch vorweisen könne. Solche Bücher sind in ländlichen Gegenden in der Regel nicht vorhanden. Damit wird genau jenen, die sie am nötigsten brauchen, die Impfung vorenthalten.

Aber auch im Staat Minas Gerais, der an Goiás angrenzt, (von dem aus der Berichterstatter schreibt), besteht der Verdacht auf Gelbfieber. Im Norden des Staates, nahe der Grenze zu Goiás, wurden tote Affen gefunden, die eventuell Opfer der Krankheit wurden. Affen werden vom Gelbfieber genauso wie Menschen betroffen. Die Untersuchungen laufen noch.

1991 hatte sich der Berichterstatter bereits gegen Gelbfieber impfen lassen, weil eine touristische Reise ins Amazonasgebiet anstand. Wenige Tage nach der Impfung wurde er schwer krank und lag mit hohem Fieber und Schmerzen am ganzen Körper im Bett. Das ging zwar nach ein/zwei Tagen vorbei, war aber doch beängstigend.

Das ist eines der Probleme mit der Gelbfieber-Impfung. Die Impfreaktionen sind, individuell unterschiedlich, zum Teil äusserst schwer. Kindern und älteren Menschen wird darum von der Impfung abgeraten, wenn sie nicht unabdingbar ist. Der Impfschutz hält nur 10 Jahre vor und der Berichterstatter ist auch nicht jünger geworden seit 1991.

Bei der Massenabfertigung zum Impfen ist es vorgekommen, dass Personen, die keine Erfahrung damit haben, zweimal geimpft wurden. Sie liegen heute im Krankenhaus. Aber auch nur einfach geimpfte mussten in grosser Zahl in die Krankenhäuser eingeliefert werden. Heute liegen in ganz Brasilien weit mehr Patienten im Krankenhaus wegen der Impfung als wegen des Gelbfiebers.

Hier in Belo Horizonte sind Impfstationen an den beiden Flughäfen und am Busbahnhof eingerichtet, wo es bereits lange Schlangen gibt. Was tun?

So lebt man also seine Liebe in den Zeiten des Gelbfiebers.


Veröffentlicht am 28. Januar 2008 in der "Berliner Umschau"

Originalartikel

Dienstag, 18. Dezember 2007

Oskar Niemeyer ist 100 - und arbeitet noch jeden Werktag

Der König der Kurven

Von Karl Weiss

Er ist eine lebende Legende. Der wichtigste lebende Architekt wurde am 15. Dezember 2007 100 Jahre alt – und Niemeyer ist weiterhin aktiv. Er entwirft weiterhin Montag bis Samstag Gebäude, Denkmäler, Statuen, Inneneinrichtungen und ganze Gebäudegruppen einschließlich Landschaften, er skizziert, formt, zeichnet und malt. Nach Aussagen eines seiner wichtigsten Mitarbeiter ist er kreativer denn je.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-6

Er ist das Menetekel an der Wand der deutschen Manager, die ihre Unternehmen von fast allen über 50 gesäubert haben, weil die angeblich weniger leisten.

Er ist mit internationalen Preisen überhäuft worden. Er ist – ähnlich wie Le Corbusier, mit dem er viele Jahre zusammengearbeitet hat, das Vor- und Leitbild von Generationen von Architekten.

Niemeyer Nationalmuseum Brasilien

Sein Büro in Rio de Janeiro, seiner Heimatstadt, ist weiterhin mit Aufträgen ausgelastet. Man kann auswählen, welche man annimmt.

Kurz vor seinem 100. Geburtstag hat ihn der Reporter Tom Dyckhoff von der britischen Times interviewt und dies Begegnung mit einem Giganten genannt. Er vergleicht Niemeyer mit Rodin und Picasso. Der Titel seines Artikels in der Times ist „Der König der Kurven“.

Er hat dem Journalisten, nach der Bedeutung seines 100. Geburtstages gefragt, geantwortet: „Dies Datum ist nicht wichtig. Das Alter ist nicht wichtig. Die Zeit ist nicht wichtig. Ich fühle mich nicht besonders wichtig. Wichtig ist ruhig zu bleiben und optimistisch.“

Und er sagt, was ihn jeden Morgen dazu bringt aufzustehen und an die Arbeit zu gehen: „Der Kampf, schlicht und einfach der Kommunismus.“

Niemeyer ist Kommunist und betont das auch immer wieder, ebenso wie sein Brasilianer-Sein. Wäre das nicht, wäre er eine der großen Glamour-Figuren der Jetzt-Zeit, der man auf Schritt und Tritt folgen würde wie Paris Hilton. Immerhin ist er eine der bedeutendsten lebenden Personen. Aber die westlichen Massenmedien sind nun einmal auf den Antikommunismus eingeschworen und so wird Niemeyer höchstens einmal erwähnt, wenn er Hundert wird, während dem Gegacker der Hotelerbin fast wöchentlich Aufmerksamkeit gezollt wird.

Auch die nicht abreissende Kritik an seinem Werk hat keine sachliche Begründung, sondern nur eine ideologische. So nennt zum Beispiel Jörg Häntzschel in der „Süddeutschen“ Niemeyer einen Vertreter der „heroischen Moderne von der Mitte des 20. Jahrhunderts“. Sein Werk, die brasilianische Hauptstadt Brasilia, bezeichnet er als „gescheitert“.

Kongress Brasilien Brasilia

Nichts steht Niemeyer ferner als Heroik. Ganz im Gegenteil, durch die fliessenden Formen, Kurven und Bögen wird jeder noch so grosse Bau von ihm handlicher und menschlicher. Seine Bescheidenheit ist schon legendär.

Brasilia ist bis heute für jeden Besucher beeindruckend, schlicht wegen Niemeyers Architektur. Seine Formensprache für den National-Kongress zum Beispiel mit zwei schlanken Hochhäusern für die Abgeordneten in der Mitte, links das Abgeordnetenhaus-Plenum mit konvexer Kuppel und rechts das des Senats mit konkaver Kuppel ist bis heute unerreicht.

Niemeyer Nationalkongress

Der genannte Artikel in der „Süddeutschen“ hebt einseitig darauf ab, er würde mit seinen Kurven weibliche Formen nachfühlen. Das ist oft wirklich der Eindruck, weil seine Architektur so angenehm ins Auge fällt. In Wirklichkeit sind die Rundungen aber weitgehend der runden Form der Berge seiner Heimatstadt nachempfunden, wenn sich auch manchmal eine Anlehnung an weibliche Rundungen nicht leugnen lässt – aber das ist noch keine „architektonischer Erotismus“, nur weil es attraktiv ist.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Dabei wird Niemeyer nie Sklave der Bögen. Er hat keinerlei Ehrgeiz, wie etwa Hundertwasser, ein Haus zu schaffen, an dem nicht ein rechter Winkel vorkommt. Er verwendet Kurven als zusätzliche architektonische Ausdrucksform.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-5

Bei fast jedem seiner Bauten fällt einem Betrachter das Wort hypermodern ein – bis heute. Das zeigt, seine Formensprache ist nicht eine überholte aus „der Mitte des 20. Jahrhundert“, sie ist aktuell wie je.

Charakteristisch das Verhältnis des brasilianischen Globo-Medien-Konzerns (mit dem bei weitem am meisten gesehenen Fernsehsender Brasiliens) zum bedeutendsten lebenden Brasilianer. Zwar wurden zum Hundertsten sowohl im Rundfunk als auch am Fernsehen fünf Minuten Niemeyer erlaubt, aber ansonsten wird er verbissen verschwiegen. Typisch dafür die jährliche Übertragung des Silvesterlaufs in São Paulo am letzten Tag des Jahres, die auch in verschiedene andere Länder geht. Der Weg dieses Laufs führt unmittelbar an einem der großen Werke Niemeyers vorbei, der „lateinamerikanischen Gedenkstätte“, die der kritische Artikel von Häntzschel so beschreibt: „Stadträume, die wie dreidimensionale surrealistische Gemälde wirkten.“ Kommen die Läufer dort vorbei, wird nicht ein einziges mal die Linse auf den Hintergrund gerichtet, um eine der wichtigen Sehenswürdigkeiten São Paulos zu zeigen, sonst müsste ja ein Kommunist gewürdigt werden.

Niemeyer

Etwas Ähnliches haben sich die Schildbürger im Berlin umgebenden Brandenburg geleistet. Potsdam hatte ein Spassbad bei Niemeyer und Auftrag gegeben und auch schon einen Batzen Geld für den Entwurf gezahlt. Doch die CDU/FDP-Mehrheit liess das Projekt unter einem hahnebüchenen Vorwand platzen. Man wollte nicht berühmt sein für das Werk eines Kommunisten.

Wenn man einmal doch Niemeyer erwähnen darf, dann wird aber wichtiges gesagt. Ein Rundfunkkommentator in Brasilien sagte z.B. zum Hundersten: „Er hat uns alle etwas besser gemacht.“ Von wie vielen kann man schon so etwas sagen?

Oscar Niemeyer 99

Fast unglaublich ist aber: Seine letzten Werke sind noch beeindruckender als viele frühere. Mit deutlich über Neunzig hat er noch eine Erfindungsgabe, die bei 90% aller Architekten völlig fehlt. Bringen andere Architekten runde Formen als Ornamente an Gebäuden an, so ist bei ihm das Gebäude ein Ornament der Stadt.

Sankt-Franziskus-Kirche von Niemeyer

Das „Neue Museum“ von 2001 in Curitiba im brasilianischen Süden sieht aus wie ein Zyklopenauge auf einer Betonsäule. Das Museum für zeitgenössische Kunst von 1996 in Niteroi gegenüber Rio de Janeiro gleicht eindeutig einer fliegenden Untertasse

Niemeyer Museum zeitgenössische Kunst

und ein Konzertsaal in Brasilia, der erst jetzt gebaut wird, obwohl er schon im ursprünglichen Projekt vorgesehen war, hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem Saturn mit seinem Ring. Wo nimmt der Mann in dem Alter die Kreativität her? Gegenfrage: Warum sollte Kreativität mit dem Alter abnehmen?

Er hat sofort die Möglichkeiten des Stahlbetoms entdeckt und konsequent genutzt. Seine Architektur wird auf English unter dem Motto geführt: „Form follows beauty“. Sie wurde als sinnlich bezeichnet.

Niemeyer

Er schuf den Gegenentwurf zum Baukasten-Stil des Bauhauses, die auf reine Funktionalität ausgerichtet ist: „Form follows function“. Niemeyer befreite das Bauen vom Diktat der geraden Linien.

Der Berichterstatter hat das Privileg, mit seiner Frau Sonntags zum Pampulha-See in Belo Horizonte fahren und dort am Ufer entlang dem werktäglichen Mangel an Bewegung entgegenwirken zu können. Dabei kommt man nicht nur an seinem wahrscheinlich grössten Meisterwerk, der kleinen Franziskus-Kirche vorbei,

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-3

sondern auch an einer Reihe anderer Zweckbauten von ihm – alle aus dem Anfang der Vierziger-Jahre. Es wird deutlich: Er verfolgt keinerlei festes Schema, obwohl seine Hand überall deutlich sichtbar wird. Das Prinzip ist: Überrasche den Betrachter.

So sagt Niemeyer denn auch zum Platz der drei Gewalten in Brasilia: „Wenn Sie dort stehen und vor sich das Repräsentantenhaus sehen, links das Gebäude des Obersten Gerichtshofes und rechts den Palast des Präsidenten (Palácio do Planalto), dann kann Ihnen das gefallen oder nicht. Aber Sie können auf keinen Fall sagen, so etwas hätten Sie schon einmal gesehen.“

Niemeyer Palácio Planalto

Im Prinzip ist er ein Bildhauer-Architekt. Er lässt Gebäude nicht bauen, er formt sie. Sein Werk ist der lebendige Beweis: Kommunismus ist sehr wohl verträglich mit Schönheit, mit Eleganz und mit Individualität, aber er macht sich nicht zu deren Sklaven.

Und er hat eben Einfälle, Einfälle, Einfälle. Den Präsidentenpalast in Brasilia hat er zum Beispiel mit einer riesengrossen Rampe versehen (nicht einer Treppe). Wer den Präsidenten besuchen will, muss diese Rampe hinauf, während der Präsident die Rampe herunterkommen muss, um mit dem Volk in Kontakt zu treten.

Diese Rampe ist bereits ins Unterbewusstsein des Volkes eingetreten. „Die Rampe hinaufgehen“ oder „die Rampe herunterkommen“ sind bereits geflügelte Worte im brasilianischen Portugiesisch, die verschiedenste Anwendung finden. Architektur schafft Sprache – und Denken.

So – nun hat der geneigte Leser einen ganz leichten Eindruck von der Bedeutung des Werkes von Niemeyer bekommen. Er wird sich jetzt vielleicht auch fragen, warum er darüber nicht schon vorher mehr gehört hat. Nun, der Antikommunismus.

Beenden wir dies mit dem Schluss des kritischen Artikels von Häntzschel: „... Niemeyer stellt diese Gebäude mit der Nonchalance von jemandem in die Luft, der nach einem nachmittäglichen Bad im Meer sein Handtuch ausschüttelt. "Was wirklich zählt, sind das Leben und die Freunde und diese ungerechte Welt, die wir ändern müssen", lautet die Maxime an der Wand seines Büros. Daran hat sich auch nach 100 Jahren nichts geändert.“

Veröffentlicht am 16. Dezember 2007 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel

Montag, 26. November 2007

Grösste Auto-Fabrik der Welt in Gross-Belo Horizonte

Fiat baut brasilianisches Geschäft aus

Von Karl Weiss, Belo Horizonte

Der Präsident der FIAT hält sich zur Zeit in Südamerika auf und gab am 23. November bekannt, das Unternehmen werden die Kapazität seiner Produktionsstätte in Betim, Groß-Bereich von Belo Horizonte, Brasilien verdoppeln. Damit wird diese Fabrik der grösste Standort einer Pkw-Herstellung auf der Welt sein.

Gleichzeitig wird gemunkelt, die Fiat-Fabrik in Argentinien werde wahrscheinlich geschlossen. Dort sei die Lieferung von Energie nicht gesichert, sagte Sergio Marchionne, derzeit höchster Fiat-Manager, bei einem Treffen mit Brasiliens Präsident Lula in Brasilia. Sowohl die brasilianische Regierung mit seiner Entwicklungsbank BNDES als auch der Staat Minas Gerais werden Kredite zu günstigen Bedingungen für die Erweiterung der Fabrik geben.

Die Gesamtinvestition, die für Minas Gerais angekündigt wurde, beträgt eine Milliarde Euros.

Die Stadt Betim, von der aus der Berichterstatter in diesem Moment schreibt, hat bereits bekanntgegeben, man werde zwei für die Erweiterung benötigten Gelände schnellstens zur Verfügung stellen.

Fiat machte seine bisher grösste Investition ausserhalb Europas im Jahr 1975, als die neue Fabrik nach Betim im Metropol-Bereich Belo Horizonte gelegt wurde, weil man den starken gewerkschaftlichen Organisationen im Bereich Gross-São Paulo ausweichen wollte. Die starken Gewerkschaften im Bereich ABC von São Paulo waren gefürchtet und seit damals wurde keine einzige der Autofabriken mehr in diesen Städten angesiedelt. Der jetzige Präsident Lula ging aus dieser Gewerkschaftsbewegung in São Paulo hervor.

Renault legte seine Fabrik in den Bereich von Gross-Curitiba im Süden Brasiliens, zwei neue Fabriken von Volkswagen wurden im Landesinneren von São Paulo in den Städten Taubaté (wo auch ein zweites Ford-Werk entstand) und São Carlos angesiedelt, zwei neue von GM (Opel) im Landesinneren von São Paulo in São Jose dos Campos und in Rio Grande do Sul nahe Porto Alegre, ein weiteres VW-Werk ging ebenfalls in den Bereich Curitiba, Mercedes platzierte seine neue Fabrik in Minas Gerais in Juiz de Fora, die Peugeot ging in die Stadt Porto Real im Staat Rio de Janeiro, KIA nach Bahia, Toyota und Honda ebenfalls ins Landesinnere von Sâo Paulo.

Fiat begann 1975 in Betim mit 800 Fahrzeugen am Tag. Die Belegschaft wurde schnell auf 25 000 ausgeweitet. Heute arbeiten nur noch etwa 15 000 direkt bei Fiat, obwohl die Kapazität auf 3000 Fahrzeuge täglich ausgeweitet wurde. Praktisch die ganze Herstellung von Auto-Teilen wurde an andere Fabriken ausgelagert, die aus dem Gebiet Groß-Belo Horizonte ein riesiges Beschäftigungszentrum in der brasilianischen Wüste der Arbeitsplätze machten (wovon auch der Berichterstatter profitiert).

Heute wird selbst die Fertigung von Motorblöcken und der Zylinderköpfen ausserhalb der Fiat-Fabrik durchgeführt. Auch ein Teil der Karosserie-Herstellung, z.B. der Kleintransporter, ist ausgelagert.

Von Januar bis einschliesslich Oktober diesen Jahres wurden im Werk in Betim fast genau 600 000 Fahrzeuge hergestellt, was das Werk bereits zum grössten Lateinamerikas gemacht hat. Nun soll auf eine Tagesproduktion von 5 200 ausgeweitet werden. Natürlich heisst dies nicht, Fiat wäre jetzt grösster Autohersteller der Welt – die anderen verteilen ihre Produktion nur auf mehr Fabriken.

Das Werk in Betim arbeitet von Sonntag-Mitternacht bis Samstagabend 18 Uhr. Es werden 14 verschiedene Modelle (neben den vielen Ausstattungsvarianten) hergestellt, was für ein Werk dieser Grössenordnung eine Besonderheit ist.

Fiat Betim produziert nicht nur für den brasilianischen Markt, sondern auch für ganz Lateinamerika und eine Anzahl weiterer Entwicklungsländer. Heute ist Fiat der grösste Einzel-Exporteur Brasiliens. Vor allem der kleine Fiat Palio, in Europa nicht bekannt, hat in Brasilien und anderen Entwicklungsländern gut eingeschlagen. Seine Kombi-Version Weekend stand eine Zeit lang in europäischen Fiat-Verkaufsräumen. Letzthin hat man den Punto neu herausgebracht, es werden auch der Idea, der Stilo, der Marea und eine Anzahl von Transportern hergestellt.

Als Fiat 1975 in Brasilien anfing, traf die neue Autofirma auf schwergewichtige Konkurrenz. Seit den 50er Jahren gab es in Brasilien Volkswagen, GM mit der Marke Chevrolet und Ford. Kaum jemand traute der Fiat zu, auf gleicher Augenhöhe mit diesen erfahrenen Kfz-Herstellern in den Konkurrenzkampf eingreifen zu können.

Doch dann brachte Fiat den Uno heraus, ein Kleinwagen, der seiner Zeit voraus war. Er erwies sich als billiges, robustes und sparsames Auto und eroberte die Herzen der Brasilianer. Er wird bis heute als billige Alternative zu den sowieso schon nicht zu teuren brasilianischen Kleinwagen hergestellt und steht immer noch auf dem dritten Platz der verkauften Fahrzeuge. Der Uno mit 1-Liter-Motor kostet heute im Fiat-Autohaus fast genau 20 000 Reais, das sind etwa 7 700 Euro. Der Berichterstatter hat in seinen brasilianischen Jahren schon drei Uno verschlissen.

Dann kam als etwas modernere Version der Palio heraus und schlug ebenfalls ein. Die Fiats werden nun auch alle mit dem modernen Mager-Gemisch-Motor Fire ausgestattet, was den letzten Nachteil gegenüber den Konkurrenten überwand. Ab diesem Moment in den neunziger Jahren arbeitete sich Fiat an die anderen Autohersteller heran und überholte sie einen nach dem anderen – in der Zahl der verkauften und hergestellten Autos.

Zwar ist der VW Gol bis heute das am meisten verkaufte Auto in Brasilien (siehe auch diesen Artikel zum heutigen Gol ), aber Fiat hat sowohl VW in der Zahl der verkauften Autos als auch GM in Umsatz überholt.



Ausser dem Gol hat VW in den letzten Jahren fast nur Flops produziert. Zunächst versuchte man sich mit Ford zusammenzutun und gründete die ‚Autolatina’. Das führte dazu, dass beide Marktanteile verloren. So trennte man sich denn auch schnell wieder.

Ford und VW reihten sich damit in die lange Liste der Königskinder ein, die „zusammen nicht konnten kommen“. Da gibt es die geplatzte Ehe von Mercedes-Benz mit Chrysler und den anderen Flopp von Mercedes, mit Mitsubishi. Da versuchten es BMW und Rover miteinander, was in einem Desaster endete – für Rover. Die GM versuchte es mit Fiat, doch musste bald aufgeben. Renault ist gerade dabei, mit Nissan ins Bett zu gehen und man kann ihnen nur alles Gute wünschen.

Die Herstellung und der Verkauf von Personenwagen scheint ein hoch mit Psychologie belegtes Geschäft zu sein, was nüchterne Manager offensichtlich nicht ausreichend verstehen und sträflich unterschätzen.

Die wenigen funktionierenden Beispiele bisher sind bisher im wesentlichen solche, wo ein übermächtiger Gigant eine kleine Autofirma einverleibt und alles mit Gewalt durchdrückt, wie z.B. bei VW-Seat, VW-Skoda und Ford-Volvo. Dass Seat, Skoda und Volvo seitdem ausgesprochene Erfolgsstories sind, wird wohl niemand behaupten.

Der Versuch von VW, seine Hauptmarke zu einer Art von Nobelmarke zu machen und Dinge wie den Phaeton herauszubringen, statt dies der Tochter Audi zu überlassen , dürfte aller Voraussicht nach mit einem Crash an der Wand enden. VW ist vom Namen und von Image her dazu verurteilt, zusammen mit Renault und Fiat den Massenmarkt in Europa zu bedienen, so sehr man sich dem auch entziehen will.

Statt konkurrenzfähige Fahrzeuge gegen deren Autos herauszubringen, träumt man von ‚Höherem’. In Brasilien hat Fiat vorgemacht: Man kann VW auch überholen, auch wenn die VW-Autos keinen schlechten Ruf haben. Wer weiss, ob VW nicht das Risiko eingeht, dass dies auch in Europa geschieht.

Wie auch immer, die Region Belo Horizonte dürfte nun einen zusätzlichen starken Wachstums- und Wertsteigerungs-Schub erfahren – so wie ganz Brasilien mit dem neuen Ölfund .


Veröffentlicht am 26. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Mittwoch, 21. November 2007

Wie Entwicklunsländer (nicht) funktionieren

Keine Steuern zahlen – der Fall Calheiros

Von Karl Weiss

In einem viel beachteten Artikel des „Journal do Brasil“ hat dieses Blatt am Wochenende enthüllt: Die Steuerschulden von Brasilianern an den Staat machen aktuell etwa 460 Milliarden Reais (etwa 180 Milliarden Euro) aus, wobei es sich um insgesamt 2,7 Millionen solcher Prozesse handelt, die in der Justiz anhängig sind. Der Fortgang fast aller dieser Prozesse ist unterbrochen.

Brasilien (topographisch)

Das heißt im wesentlichen: Die brasilianische Oligarchie bezahlt so gut wie keine Einkommenssteuern. Zufällig stand diese Nachricht direkt neben jener, die über die letzte Schätzung der brasilianischen Bevölkerung berichtet: Sie dürfte im Moment bei etwa 184 Millionen Einwohnern liegen. Die Oligarchie besteht aus etwa 1000 Familien.

Man erklärt dabei nicht einfach, die Super-Reichen bräuchten keine Steuern zu bezahlen, das wäre ja zu auffällig und die Maske der „Demokratie“ würde zu leicht fallen. Nein, das Vorgehen ist raffinierter: Die Steuern fallen an, werden nicht bezahlt, der Staat beginnt, sie über die Justiz einzuklagen und dort bleiben die Prozesse dann hängen, bis die Schulden verjährt sind. Laut dem Artikel sind 42% aller Prozesse der Bundesjustiz solche über geschuldete Steuern und Abgaben.

Das betrifft natürlich nur den Teil, den man vor dem Fiskus nicht verbergen konnte. Der von vornherein hinterzogene Teil der Steuern dürfte noch mehr als diesen Betrag ausmachen.

Nur ein kleiner Teil der Mitglieder der Familien der brasilianischen Oligarchie sind ja in Beschäftigungsverhältnissen, wo man ihnen die Einkommenssteuern direkt am Zahltag abziehen könnte. In der Regel haben die Superreichen lediglich „Andere Einnahmen“. Trotzdem ist nicht immer völlig zu vermeiden, dass der Fiskus an einem der Geschäfte seine Teilhabe verlangt.

Wie funktioniert es nun, dass die Justiz diese Steuerschulden nicht weiterverfolgt? Der Artikel gibt Auskunft:

Laut Aussage des Ministers Gilson Dipp vom höchsten Bundesgericht (selbstverständlich auch er selbst Teil dieser Oligarchie, die obersten Bundesrichter haben in Brasilien Ministerrang), der gleichzeitig Gesamt-Koordinator der Bundesgerichte ist, liegt die Hauptursache für die Unterbrechung des Fortgangs der Prozesse einerseits häufig in der Unmöglichkeit, die betreffende Person ausfindig zu machen, die jene Steuern schuldet und andererseits in der Schwierigkeit, zu pfändende Güter zu finden, die auf den Namen des Schuldners laufen.

Das brasilianische Recht kennt keinen Schuldturm, also nicht die Möglichkeit, einen Schuldner ins Gefängnis zu stecken. Die einzige Möglichkeit, seine Schulden einzutreiben besteht nach brasilianischem Recht darin, materielle Werte zu finden, die man pfänden kann und die dem Schuldner gehören, wenn man einmal einen nicht mehr anfechtbaren Gerichtsbeschluss gegen den Schuldner hat (was bereits Jahre dauert).

Darauf beruht der Haupttrick der brasilianischen Oligarchie: Man hat grundsätzlich nichts, was auf den eigenen Namen läuft. Alle Güter, sei es ein Haus oder Appartment, eine Fazenda (ein Bauernhof mit Land), sei es eine Fabrik, sei es ein Rundfunksender, eine Zeitung, eine Hotelkette, ein Auto-Haus als Vertretung einer der grossen Auto-Marken, eine Fluggesellschaft, ein Auto oder was auch immer, wird auf den Namen von Angestellten, Freunden, Ehefrauen, Bittstellern oder Anderen gekauft oder überschrieben.

Nicht etwa, dass diese „Anderen“ (in Brasilien „Orangen“ genannt) wirklich über jene Werte verfügen könnten. Natürlich nicht. Der Besitzer ist der Herr des Hauses, einer der Patriarchen der Oligarchie-Familie. Er hat in einer gut gehüteten Schublade einen Vertrag, in dem die „Orange“ den Besitz an ihn oder eine andere Person überschreibt und bestätigt, dafür bereits den Preis erhalten zu haben.

Die Nachteile, eine solche „Orange“ zu sein, sind offensichtlich. Entweder man verschweigt seinen „Besitz“ gegenüber dem Fiskus, dann macht man sich der Hinterziehung schuldig oder man muss auch noch Steuern für einen Besitz zahlen, der einem gar nicht zur Verfügung steht.

In der Regel werden daher dafür arme Schweine herangezogen, denen der Patriarch ein Hungerlohn zahlt und sie dafür Hilfsdienste machen lässt. Es gibt auch Leute, die der Oligarchie-Familie in irgendeiner Weise verpflichtet sind, z.B. Geld erhalten haben, das sie nicht zurückzahlen können. Diese eignen sich gut als „Orangen“.

Der Berichterstatter hatte Gelegenheit, mit einer Frau zu sprechen, die eine Zeit lang mit dem Sohn einer dieser Oligarchie-Familien verheiratet war.

Sie berichtete, wie diese Schemata funktionieren. „Mein Ex-Mann gründete eine Firma, die Zeitungs-Abonnements verkaufte. Die Leute zahlten im voraus für den Bezug der Zeitung, sahen aber nie ein Stück Papier davon. Das ganze Geld ging in dunkle Kanäle. Die Firma war aber auf meinem Namen. Plötzlich, nachdem ich mich von ihm getrennt hatte, war ich Besitzerin einer Firma mit einer riesigen Schuld. Ich bekam mein Bankkonto gesperrt, konnte nirgendwo mehr ein Konto aufmachen, hatte keinen Scheck, keine Kreditkarte, nichts.

Nur dem Fakt, dass mein Ex dabei eine kleine Unachtsamkeit begangen hat, ist es zu verdanken, dass ich heute mein Leben wieder bekommen habe.

Von den Besitzungen der Familie hatte er dort, in der Stadt, wo wir uns kennengelernt und geheiratet hatten, eine Anzahl von Grundstücken, von Wohnungen und ein grosses Haus. Eines der Grundstücke war auf meinem Namen. Das war mein Glück, denn ich konnte ihn so nach unserer Scheidung dazu bringen, dass er mir die geschuldeten Unterhaltszahlungen für die Kinder zahlte, bevor ich meine Unterschrift gab, das Grundstück zu verkaufen.

Die Familie hatte insgesamt etwa 5 Hilfsarbeiter angestellt, die Gartenarbeit in den Gärten der Villen machten, die Schwimmbecken der Häuser reinigten, Wächterdienste ausführten, bei Festen Servierdienste übernahmen und auch schon einmal jemanden verprügelten, wenn das der Patriarch so wollte. Auf deren Namen waren fast alle der Besitzungen der Familie eingetragen, so wie auch die Luxus-Schlitten und einiges andere. Ausserdem wechselten die Besitzer der materiellen Güter mit einer gewissen Häufigkeit.

Es gab offenbar auch illegale Aktivitäten der Familie, über die ich aber nichts Näheres erfuhr. Ich habe lediglich einmal ein Telefongespäch zufällig mitgehört, in dem offenbar Anweisungen in einer Art von Codes gegeben wurden. Es war meinem Ex offensichtlich unangenehm, als er merkte, ich hatte etwas davon gehört.

Offen wurde über Konten im Ausland gesprochen, so unter anderem einem auf der englischen Kanalinsel Jersey, wo anscheinend ein Steuerparadies ist. Von Zeit zu Zeit flog jemand ins Ausland, ohne dass irgendein Urlaub angesagt war, also offensichtlich in Geschäften. Einmal habe ich auch einen Koffer mit Hundert-Dollar-Noten gesehen.

Der Vater meines Ex, der Patriarch der Familie, war engst befreundet mit allen wesentlichen Personen der Stadt, mit allen Richtern, mit dem Staatsanwalt, dem Polizei-Chef, dem Abgeodneten usw. Mein Ex hat nicht einmal auch nur ein Strafmandat bezahlt.“

Dies war nur eine der kleinen Oligarchie-Familie, nicht eine der wirklich Mächtigen, wie z.B. die Cardosos des Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, die eine eigene Grossbank besassen, die „Banco Nacional“, oder den Magalhães (auf deutsch Magellan), denen der halbe Staat Bahia gehört, oder den Jeressaitis, die Besitzer eine Kette von Shopping Centers und eines wesentlichen Paketes von Telephongesellschaften sind oder die Sarneys des Ex-präsidenten José Sarney, die im Staat Maranhão herrschen wie eine Königsfamilie.

Nun, sie alle bedienen sich dieser Mittel (wobei der Gebrauch offen krimineller Methoden nicht unbedingt auf alle zutreffen mag). Dies wurde kürzlich wieder besonders deutlich, als der Präsident des brasilianischen Senats, Renan Calheiros, plötzlich im Zentrum eines Korruptionsskandal stand. Calheiros, natürlich auch aus einer der Oligarchie-Familien, wenn auch aus jüngerer Zeit, kommt aus dem Staat Alagoas und ist dort Verbündeter der Oligarchen-Familie de Mello, aus der jener Präsident Brasiliens Collor de Mello hervorging, der 1993 durch ein Impeachmentverfahren abgesetzt wurde.

Calheiros ist Verbündeter des Präsidenten Lula als eine der wesentlichen Figuren der Partei PMDB von Alagoas, die in einer Koalition mit der PT Lulas die Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus hat.

Nun kam aber ans Tageslicht, Renan Calheiros hatte ein Verhältnis ausserhalb seiner Ehe mit einer Journalistin, aus der ein Kind hervorgegangen war. Dies gilt jenen Kreisen Brasiliens nicht als ehrenrührig, wie sich das für eine Macho-Gesellschaft gehört. Im Gegenteil, (fast) jeder dieser Pariarchen hat nicht nur die Ehefrau zu Hause, sondern auch eine Anzahl von Geliebten, mit der angegeben wird.

Nachdem der DNA-Test gemacht war und die Vaterschaft feststand, blieb dem späteren Präsidenten des Senats (das ist immerhin die dritthöchste Position im Staat, nach dem Präsidenten und dem Vize-Präsidenten) nichts anderes übrig, als auf die Wünsche der Journalistin nach einem saftigen Unterhalt einzugehen. Es wurden 16 000 Reais monatlich vereinbart, das sind immerhin etwa 6000 Euro pro Monat, für brasilianische Verhältnisse ein fürstlicher Unterhalt.

Das Problem war nun, dies Geld wurde Monat für Monat von einem Freund von Calheiros überbracht – und dieser Freund war ein Angestellter und weithin bekannter Lobbyist von Brasiliens grösstem Bauunternehmen Mendez Junior.

In Brasilien lassen Verbindungen zwischen Politikern und Baunternehmen alle Alarmglocken schrillen, denn jeder weiss, das bei weitem wichtigste Mittel, wie Politiker Gelder aus der Staatskasse abzweigen ist die „Beteiligung“ an öffentlichen Bauaufträgen. Der Politiker sorgt dafür, dass jenes Baunternehmen den Auftrag bekommt und erhält dafür 18% der Bausumme. Abgeordenete in Brasilien heissen daher hier „Mr. 18%“.

Da steht einem ausgewachsenen Präsidenten des Senats anscheinend zu, dass man ihm seine Unterhaltsgelder zahlt – das haben beide natürlich sofort dementiert. Der Lobbyist hat das Geld lediglich überbracht – und das aus alter Freundschaft.

Nun stellte sich aber die Frage, woher hatte Calheiros all dies Geld, denn er war laut seiner Steuererklärung ein bettelarmer Mann und auch als er Präsident des Senats wurde, konnte ihm kaum jeden Monat so viel übrig bleiben.

Das ist natürlich der Nachteil an jenem Trick mit dem Übertragen der Besitzrechte auf Andere: Man darf dann nicht in die Situation kommen, Einkommen nachweisen zu müssen. Genau das aber geschah Calheiros.

In Wirklichkeit, so stellte sich im Verlauf des Skandals heraus, stinkt Calheiros vor Reichtum – wie sich das für brasilianische Oligarchie gehört. Er hat nicht nur eine unbekannte Zahl von Fazendas in Alagoas, er hat auch eine Brauerei, eine Radio- und eine Fernseh-Station und eine Zeitung in Alagoas, neben einer unbekannten Anzahl von Immobilien.

Ach, dachte sich der Politiker, das mach ich ganz einfach, ich lege eine Anzahl von Quittungen von Verkauf von Schlachtrindern vor und belege damit, ich konnte diese Summe sehr wohl aufbringen. Allerdings unterlief ihm da ein Schönheitsfehler: Die Quittungen waren schlecht gefälscht. Die Bundespolizei, die später mit der Untersuchung dieser Quittungen beauftragt wurde, bestätigte, es gebe schwere Indizien für Fälschung.

Der Rest ist kurz erzählt: Die Mehrheit der Koalitions-Senatoren sprach ihn trotz all dieser Offensichtlichkeiten von der Anklage frei, aber er war nicht mehr zu halten, dazu war der Skandal zu bekannt und zu offensichtlich. Man veranlasste ihn zunächst, zeitweise sein Präsidentenamt zur Verfügung zu stellen und nun scheint seine Karriere wirklich einen ziemlichen Knick bekommen zu haben, nachdem weitere Vorwürfe aufgetaucht sind. Wahrscheinlich wird er nun zurücktreten und für eine Zeit von der politischen Bühne verschwinden.

Für unsere Kenntnis über Entwicklungsländer haben wir nun dazugelernt: Die wirklich Herrschenden in diesen Ländern zahlen (praktisch) keine Steuern, aber sie müssen dies lernen besser zu verstecken.


Veröffentlicht am 21. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Sonntag, 11. November 2007

Brasilien wird Erdöl-Land

Grosses Gas- und Ölvorkommen gefunden

Von Karl Weiss

Wie der halbstaatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras am 8.November 2007 bekanntgab, hat man nun im Gebiet der Bucht von Santos vor dem Staat São Paulo im Meer ein Erdgas- und Erdöl-Vorkommen gefunden, das nach ersten Einschätzungen um die 8 ‚billions of barrel’ enthält. Zusammen mit allen anderen bereits bekannten und bereits erschlossenen Vorkommen würde damit Brasilien zu einem Öl-Land in etwa der Bedeutung Nigerias werden.

Der Präsident der Petrobras erklärte, zusammen mit anderen kleineren Bestätigungen von Funden könnte Brasilien bald die Nummer 8 in Erdölreserven der Welt sein.

Erdöl

‚Billions of barrel’ entsprechen nach deutscher Zählung Milliarden Barrel zu je 155 Liter, das sind also um die 1,2 Billionen Liter oder um die 1,2 Milliarden Kubikmeter). Diese Menge entspricht etwa 50% aller vorher bekannten Ölreserven des Landes. Die Aktien der Petrobras machten nach dieser Bekanntgabe einen Kurssprung von etwa 10% in New York und von über 15 % in Brasilien.

Die Petrobras hat bereits ein kleineres Feld in der Santos-Bucht erschlossen und fördert dort. Der Fund ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil Brasilien sich damit unter die Länder mit relativ großen Erdöl- und -gas-Vorräten einreiht, sondern auch, weil es sich um eine Erdölqualität handelt, die nicht so schwer ist wie das sonst im Meer vor der brasilianischen Küste gefundene Öl.

Schweröle, wie bisher in brasilianischen Gewässern gefunden, sind äußerst schwer zu raffinieren und brauchen riesige Raffinerie-Investitionen, um zu Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet werden zu können. Auch die wichtigen Chemie-Rohstoffe Ethylen, Propylen und Butylen sind nur schwer daraus herzustellen.

Das neu gefundene Öl hat nach den Angaben des Konzerns 28 Grad API, das ist immer noch schwer, aber deutlich besser als die bisher erschlossenen Felder. Der größte Teil dieses Öls könnte in Raffinerien der Petrobras in Brasilien zu den benötigten Erdölprodukten verarbeitet werden, während die Petrobras bisher große Teile des gefundenen Öls in Länder mit entsprechenden Raffinerien exportieren musste, um dann vom Erlös Erdölprodukte zu importieren.

Brasilien ist seit 2006 autark in Erdöl, aber aus dem genannten Grund eben nicht in Erdölprodukten.

Erdöl 1

Die brasilianische Petrobras hat als erste in Meerestiefen über 500 Metern Erdöl gebohrt und gefördert und ist heute der Ölkonzern mit der größten Erfahrung mit Erdölgewinnung in großen Wassertiefen. Heute kann auch in Tiefen zwischen 1000 und 2000 Metern Erdöl gebohrt und gefördert werden. Einige Werften in Niteroi im Bundesstaat Rio de Janeiro sind inzwischen auf spezielle Bohrschiffe und Förderschiffe für solch große Wassertiefen spezialisiert.

So hat die Weigerung Brasiliens, sich entsprechend der neoliberalen Bibel des Internationalen Währungs Fonds IWF seines Ölkonzerns für einen Appel und ein Ei zu entledigen und ihn an die internationalen Grosskonzerne zu verkaufen, reiche Früchte getragen. Statt auf den IWF zu hören, brachte man fast die Hälfte des Konzerns an die Börse, nahm mehr ein, als man mit dem Verkauf des ganzen bekommen hätte, und behielt den Einfluss des brasilianischen Staates in der Gruppe.

Nicht nur, dass Brasilien bereits die Autarkie in Erdöl erreicht hat und nur noch ein geringes Handelsdefizit in Erdölprodukten aufweist, die Petrobras konnte so zum Beispiel auch in das Geschäft mit Bio-Diesel einsteigen, was die US- und europäischen Öl-Kartelle strikt ablehnen.

Brasilien wird bis zum Jahr 2020 fast alles Diesel auf Biodiesel und fast alles Benzin auf Alkohol umgestellt haben (heute sind bereits 75% des Kraftstoffes, der nicht Diesel ist, Alkohol). Ab 2008 wird mit 2% Zumischung von Biodiesel im Diesel begonnen und diese dann zukzessive erhöht. Die Produktionskapazitäten für die 2% sind bereits fertiggestellt.

Mit dem neuen Fund und der Minimisierung des internen Verbrauchs wird Brasilien zu einem bedeutenden erdölexportierenden Land werden.

Brasilien (topographisch)

Das Santos-Meeresbecken wird von der Petrobras (65%) zusammen mit der britischen BP (25%)und der portugiesischen Petrogal (10%) ausgebeutet. Das Konsortium weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Entdeckung und die Menge noch bestätigt werden müssen. Im Grunde war dieses Feld bereits 2006 entdeckt worden, aber erst jetzt hat man eine klare Vorstellung der tatsächlichen Reserven gewonnen.

Besondere Bedeutung hat für Brasilien auch, dass hier zusammen mit dem Erdöl auch Erdgas gefunden wurde. Im Moment ist Brasilien mit seinem Gasbedarf von Bolivien abhängig. Die Petrobras hatte dort massiv investiert und beide Länder hatten eine Gas-Pipeline von Bolivien nach Brasilien gebaut.

Dann kam aber Evo Morales in Bolivien an die Macht, verstaatlichte das Gas und kaufte die Petrobras-Raffinerie zurück. Jetzt will man einen um etwa 25% höheren Preis für das Gas wie vorher. Damit kommt man in etwa an die im Weltmassstab üblichen Preise heran, z.B. für russisches Gas in Westeuropa. Wenn Brasilien eigenes Erdgas haben wird, wird man nicht mehr so extrem abhängig sein.

Im Moment gibt es sogar eine echte Verknappung von Erdgas und von verfüssigtem Gas in Brasilien. Die Petrobras hat in der vergangenen Woche einige Grossverbraucher in Rio de Janeiro einfach vom Netz abgehängt – ohne Vorankündigung. Da kamen heftige Proteste. Inzwischen hat ein Sprecher der Regierung die Autofahrer davor gewarnt, weiter ihre Autos auf Auto-Gas umzustellen. Dies war bisher sehr lohnend, denn gas war der billigste Treibstoff in Brasilien und man brauchte nur noch 25% der Kfz-Steuer zahlen, wenn man sein Auto auf Gas umgestellt hatte.

Die Elektrizität Brasiliens wird zu etwa 70% aus Wasserkraft gewonnen. Die ist aber sehr von Wettterverhältnissen und Klimaveränderungen abhängig. Im Jahr 2000 kam es zu einer Verknappung und massiven Rationierungsmassnahmen des Stroms, weil es zwei Jahre hintereinander deutlich weniger geregnet hatte .

Man baute dann eine Anzahl von Ergaskraftwerken, eines zum Beispiel hier im Grossraum Belo Horizonte, wo die Pipeline aus Bolivien sowieso vorbeiführt, die mit Bolivien-Gas befeuert werden. Das wird nun aber deutlich teurer. So kann eigenes Erdgas einige Probleme lösen.

Die Entdeckung kam gerade rechtzeitig für die brasilianische Regierung, um insgesamt 41 Blöcke, die im Zusammenhang mit diesem Ölfeld stehen, aus der Versteigerung herauszunehmen, die Ende des Monats die Konzession für verschiedene Meeresgebiete vor der brasilianischen Küste an die Meistbietenden verkauft, um dort nach Öl zu bohren und ggf. Öl zu fördern. Es verbleiben aber immer noch 271 Blöcke in der Versteigerung.

Die Präsidentenamts-Ministerin Rousseff erklärte dies so: „Wir wollen unsere Souveränität verteidigen.“


Veröffentlicht am 10. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Sonntag, 7. Oktober 2007

Brasilien: Oberstes Bundesgericht nimmt Anklagen gegen Vertraute Lulas an

Palocci ist weiterhin nicht angeklagt

Von Karl Weiss

Die von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss angeklagten Politiker der PT Lulas und andere Vertraute des brasilianischen Präsidenten wurden vor dem obersten Bundesgericht angeklagt. Es nahm fast alle Anklagen gegen alle Angeklagten an und wird nun in einem langen Gerichtsverfahren die Schuld zu klären haben.

Vor etwa eineinhalb Jahren (März 2006) wurde ein umfangreiches mafia-gleiches System der Bereicherung aus Steuergeldern, der Korruption und von nicht deklarierten Spendengeldern von Lulas PT in Brasilien mit dem Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses des Parlaments offiziell verurteilt. Der Skandal, der zunächst als „Mensalão“ in die Schlagzeilen kam, dann aber weit über monatliche Korruptionsgelder an verbündete Politiker hinausging, führte zum Rücktritt praktisch der ganzen Führungsspitze der PT mit Ausnahme von Lula selbst.

Der Höhepunkt des Skandals war erreicht, als im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Super-Minister Palocci zurücktreten musste, der wichtigste Vertraute Lulas, der bei einem Versuch erwischt wurde, seine Verwicklung in eine ähnliches Korruptions-System aus seiner Zeit als Bürgermeister der großen brasilianischen Stadt Ribeirão Preto zu vertuschen, indem er seine Macht missbrauchte, um eventuell belastende Dokumente gegen einen Zeugen zu erlangen, der gegen ihn ausgesagt hatte.

Was die Entlassung des Finanzministers Palocci damals so bedeutsam machte, ist die Tatsache, daß er es war, der ohne Zweifel die Richtlinien der brasilianischen Politik bestimmte. Lula war und ist ein begabter Schauspieler, eine Symbolfigur –ähnlich wie Bush jr. – gut als Darsteller, aber unfähig, eine eigene Politik zu entwickeln.

Brasilianische Politik – und das gilt für die meisten Entwicklungsländer - heißt zu bestimmen, wieviel Prozent Zinsen man den imperialistischen Regierungen, Banken und Großkonzernen pro Jahr zahlt. Zahlt man soviel wie von Weltbank und Internationalem Währungsfond gefordert - und das war die Politik Paloccis - bleibt sowieso kaum noch etwas übrig, von dem man noch irgendetwas anderes bezahlen könnte. Wenn sich Politik fast ausschließlich auf Dinge bezieht, die nichts oder fast nichts kosten, z.B. Aussenpolitik, ist das logischerweise etwas spärlich.

Paloccis Politik lautete damals, 18 bis 19 Prozent Zinsen jährlich auf die Milliarden-Schulden zu zahlen. Das war wohlgemerkt der Leitzins (heute bei etwa 11%). Mit anderen Worten, alle internationalen Spekulanten konnten, wenn sie ihr Geld in brasilianischen Regierungsanleihen anlegten, eine phantastische Superverzinsung erreichen, die sonst nur mit extrem riskanten Hedge-Fonds, mit noch riskanteren reinen Spekulationen oder ähnlichen Anlagen möglich ist.

Abzüglich der Inflation, die unter 5 Prozent jährlich lag (und auch heute noch liegt), ergab das um die 13 Prozent Netto-Zinserlöse. Das zahlt nicht die Aktie des profitabelsten Konzerns, nicht der KKR-Hedge-Fond, nicht einmal der Besitz einer Goldmine gibt soviel her. Mehr gibts nur noch, wenn man in illegale Geschäfte einsteigt – was daher von vielen Superreichen auch immer mehr getan wird.

Brasilianische Regierungsanleihen sind natürlich nichts, wo Otto Normalverbraucher Geld anlegen könnte, so er denn welches hat. Allein die Kosten für den Kauf oder Verkauf gehen in die Tausende von Dollar. Das lohnt sich also nur, wenn man im Bereich von zig oder Hunderten von Millionen oder mehr anlegt, dann sind diese Kosten verschwindend.

Der neue Minister Mantega, Nachfolger Paloccis, versicherte denn auch gleich, daß er alles genauso machen würde wie jener. Hätte er das nicht gesagt, hätte es massive Abwertungen des brasilianischen Real gegeben. So war denn auch das einzig Neue, er ging eine Politik der geringfügigen Verminderung der Zinsen an.

Die brasilianische Ökonomie war in jenem Moment ein reines Finanzspiel. Das Brutto-Sozialprodukt Brasiliens wuchs im Jahr davor (2005) lediglich um 2,3 Prozent. Das sind Zahlen, die in die Nähe des deutschen Wachstums kommen – und das nennt man in Deutschland einen ‚kranken Mann’. Es gab also keinerlei Grund zu frohlocken, die Wirtschaft stottert so vor sich hin. Trotzdem stieg der Wert des Real bis in die Nähe der Grenze von 50 Cents vom US-Dollar – ein völlig absurder Wert (heute liegt er aufgrund der Dollar-Schwäche sogar noch höher).

Dies alles, weil Milliarden und Abermilliarden spekulative Gelder nach Brasilien flossen (und heute noch fliessen) – kein Wunder bei diesen Zinserwartungen (auch wenn die heute etwas geringer sind). Keine wirklichen Gelder, keine Investitionen, nein, volatiles Geld, angelegt in Real und Staatsanleihen, das beim geringsten Anzeichen eines Problems wieder aus dem Land abgezogen wird und dann massive und ebenso absurde Verluste des Wertes der Währung verursacht.

Palocci war nicht gestürzt über die Korruption, auch wenn es wahrscheinlich ist, daß er dort auch verwickelt war, aber man hatte noch nichts wirklich beweisen können. Er war gestürzt, so wie viele Politiker (man erinnere sich nur an den damaligen US-Präsidenten Nixon) über seine Versuche, die Spuren zu verwischen bzw. in diesem Fall einen Zeugen unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Es ging um den Hausmeister einer Villa, der angegeben hatte, Palocci sei auch unter den PT-Politikern gewesen, die in jener Villa ein- und ausgingen, von der man bereits wußte, daß dort die Gelder aus den schwarzen Kassen verteilt – und nebenbei auch Gelage und Feste mit Prostituierten abgehalten wurden.

Na, kommt uns das nicht bekannt vor? Korruption gemischt mit Prostituierten in extra hierzu bereitgestellten Immobilien – und der Chef selbst, Hartz, geht dort auch ein und aus?

Man sollte also nicht zu schnell die Nase über eine südamerikanische Bananerepublik rümpfen, denn all diese Vorgänge haben direkte Parallelen zu der Hartz-VW- und SPD-Korruption und in jenen Teilen, die nicht gemeldete Spendengelder umfassen, auch zu Kohls und Schäubles schwarzen Geldkoffern, deren Urheber sie nicht nenen wollten und doch nicht verurteilt wurden.

Nun ging es darum, diesem Hausmeister das Maul zu stopfen. Man begann zu suchen, ob da nicht auf seinem Konto bei Brasiliens Bundes-Sparkasse ‚Caixa Económica Federal’ Unregelmässigkeiten zu finden waren. Der Chef der ‚Caixa’ kam rein zufällig auf die Idee, sich einen Kontoauszug von dessen Konto geben zu lassen. Kurz zuvor - so ergaben die Ermittlungen – gab es einen Anruf aus Paloccis Büro bei ihm – Palocci war sein Chef.

Mit dem Kontoauszug benachrichtigte er sofort Palocci: Dort waren Geldeingänge gefunden worden waren, die eventuell auf Illegales des Hausmeisters hinweisen könnten. Später stellte sich heraus, alle Geldeingänge waren legal, aber das spielte dann schon keine Rolle mehr.

Palocci hatte diese Information über eventuell illegale Geldeingänge über einen Politker seines Vertrauens an ein Nachrichtenmagazin heraussickern lassen, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untergraben. Man liess andeuten, der Hausmeister habe eventuell Gelder von den Oppositionsparteien erhalten, um eine verlogene Aussage gegen Palocci zu machen. Doch nun kam die Sache heraus.

Einer der Beteiligten ließ im Gegenzug die Information über den Bruch des Bankgeheimnisses ‚aus persönlichen Gründen’ an einen Oppositionspolitiker durchsickern – und schon stand Palocci bis zum Hals im Dreck. Lula konnte nicht mehr anders, als ihn zu entlassen, um nicht selbst mit hineingezogen zu werden.

Die zweite geplatzte Bombe damals war der Abschlussbericht jenes Untersuchungsausschuß des Parlaments, der zunächst wegen bestimmter Unregelmässigkeiten bei der in Brasilien immer noch staatlichen Post eingerichtet worden war. Dieser Ausschuß hatte im vorhergehenden Jahr, als die ersten Korruptionsanklagen gegen Lulas PT aufkamen, diesen Komplex an sich gezogen und ermittelt. Sein Verdikt wäre ausreichend, um unter normalen Umständen jede beliebige betroffene Partei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen. Nicht so die PT Lulas.

Der Bericht bestätigt die Hauptanklage, daß nämlich die ganze Direktion der PT (mit Ausnahme Lulas) ein Schema entwickelt und dann durchgezogen habe, wie man Gelder aus staatlichen Unternehmen herausholt und dann (zusammen mit nicht gemeldeten Spenden) über eine Art von Geldwaschanlage zu PT-Geld macht, das für die Wahl-Fonds der Kandidaten verwendet wird, wobei die Kandidaten allerdings keinerlei Rechenschaft darüber abzugeben hatten. Auch die Verbündeten wurden bedacht. Angeklagt (und damit der weiteren Behandlung durch die Staatsanwälte anheimgestellt) wurden 122 Personen.

Hier nur die Haupt-Anklagepunkte und die wichtigsten angeklagten Personen des Berichts:
  • José Dirceu, damaliger Kabinett-Chef und ‚rechte Hand Lulas’ (in Wirklichkeit war Lula seine linke Hand; er mußte bereits Mitte vorhergehenden Jahres zurücktreten), angeklagt der aktiven Bestechung;
  • Luiz Gushiken, ein anderer damaliger Minister (ebenfalls schon lange zurückgetreten), soll der Hauptakteur innerhalb der PT gewesen sein, angeklagt wegen aktiver Bestechung und Machtmißbrauch;
  • José Genoino, damals Vorsitzender der PT (auch er schon ein halbes Jahr aus dem Amt), angeklagt der Geldwäsche, Unterschriftsfälschung, aktiver Bestechung und Wahlvergehen;
  • Delúbio Soares, damaliger Schatzmeister der PT, angeklagt der Unterschriftsfälschung, Geldwäsche, aktiver Bestechung, Untreue und Wahlvergehen;
  • Marcos Valério, Unternehmer und „Berater" Lulas, er soll die Geldwäsche und die Geldverteilung über zig Konten koordiniert haben, angeklagt insgesamt neun krimineller Taten, darunter Geldwäsche, Machtmißbrauch und Unterschriftsfälschung; die Geldflüsse waren so hoch, dass man dafür in Anlehnung an den Begriff Aquädukt den Namen Valerio-dukt erfand;
  • Roberto Jefferson, vom Koalitionspartner der PT, der PTB; er hatte den Stein ins Rollen gebracht; er war in die ursprünglich zu untersuchenden Unregelmäßigkeiten bei der Post verwickelt; als er merkte, daß er nicht davon kommen würde, beschloß er, die ganze Regierung mit in den Skandal zu ziehen und legte die ganzen Korruptionsschemata dar; angeklagt der passiven Bestechung, der Steuerhinterziehung und von Wahlvergehen;
  • Eduardo Azeredo, nicht von der PT, sondern früherer Präsident deren ärgster Gegner PSDB (des vorherigen Präsidenten Cardoso), angeklagt der passiven Bestechung und des Wahlvergehens. Sein Fall macht deutlich: es handelt sich keineswegs nur um eine PT-Mafia, vielmehr sind diese kriminellen Machenschaften schon lange fester Bestandteil jeglicher brasilianischen Politik.
Dazu wurden eine Reihe von damaligen Präsidenten und Direktoren von Staatsbetrieben der Untreue angeklagt. Zwei Politiker waren außerdem angeklagt, weil sie Dokumente der Kommission übergeben hatten, die sich später als gefälscht herausstellten.

Brasilien (topographisch)

Der Duchschnittsbrasilianer sieht in solchen Fällen meist schwarz: Es wird am Ende doch niemand verurteilt. In Brasilien gebraucht man hierfür das Bild der Pizza: Alle Beteiligten gehen in die Pizzeria, bestellen eine Pizza und alles bleibt unter dem Teppich.

So kam es dann auch zum Pizza-Tanz. Im März 2006 war u.a. einem der PT-Abgeordneten, die monatliche hohe Zahlungen bekommen hatten, vom Plenum des Bundestages sein Mandat nicht aberkannt worden. Eine Kollegin von ihm war nach der Absolution so erfreut, daß sie von ihrem Abgeordnetensitz aufstand und ein kleines Samba-Tänzchen hinlegte, das man in allen Fernseh-Nachrichten sehen konnte und dann sofort die Bezeichnung Pizza-Tanz bekam.

Nun also, was unerhört ist in der brasilianischen Politik: Die Angeklagten des Mafia-Schemas, die das Recht haben, nicht vor normalen Gerichten angeklagt zu werden, weil sie zur Zeit der Taten hohe staatliche Würdenträger waren, wurden von der Bundesanwaltschaft vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt und der nahm Anklagen gegen alle Angeklagten an, insgesamt 29 „Würdenträger“.

Wahrscheinlich wird sich der Prozess nun Jahre hinziehen. Selbst wenn sie in erster Instanz verurteilt werden, haben die Mafia-Politkrer noch das Recht auf eine Berufung, wiederum beim Obersten Gerichtshof. Mit ein wenig geschickter Prozess-Verzögerung wird wohl schon keiner von ihnen mehr am Leben sein, wenn ein nicht mehr anfechtbares Urteil vorliegen würde.

Trotzdem ist es immerhin ein kaum glaubliches Ereignis, nicht nur für Brasilien, sondern international: Die gesamte Führung einer Regierungspartei, mit der einzigen Ausnahme des Staatspräsidenten, musste zurücktreten und ist einer Reihe von Verbrechen angeklagt, ohne dass dies Auswirkungen auf die tatsächlichen Wahlaussichten dieser Partei hat. Es sei daran erinnert: Lula wurde nach diesen Veröffentlichungen, als er bereits eine neue Equipe hatte, mit grosser Mehrheit in Direktwahl vom Volk wiedergewählt.

Palocci allerdings ist bis heute nicht angeklagt worden wegen seiner eigenwilligen Auslegung des Bankgeheimnisses, um einen Zeugen gegen ihn unglaubwürdig machen zu können.

Die brasilianische Bevölkerung nimmt all dies mit ziemlich stoischer Ruhe hin und geht dem schweren Tagewerk in einem Entwicklungsland nach. Die Politiker dürften aber unterschätzen, wieviel Wut auf sie und ihre Machenschaften sich da im Bauch eines ganzen Volkes ansammelt.

Veröffentlicht am 6. Oktober 2007 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel

Montag, 20. August 2007

Was schert es den Mond ...

Niemeyer wird 100

Von Karl Weiss, Belo Horizonte

Brasilien hat begonnen, den 100. Geburtstag von Oscar Niemeyer zu feiern. Am 4. August wurde hier in Belo Horizonte im „Kultur-Palast“ die offizielle Ausstellung zu diesem Ereignis eröffnet. Die Hauptstadt von Minas Gerais kam zu dieser Ehre, weil hier die ersten bedeutenden Bauten erstellt worden waren, die der Architekt von Weltruf entworfen hatte und weil hier sein wohl bedeutendstes Werk steht, die kleine Sankt-Franziskus-Kirche am Ufer des Pampulha-Sees.

Sankt-Franziskus-Kirche von Niemeyer

Andere kulturelle Ereignisse sind bereits in Rio de Janeiro und in São Paulo geplant. Auch wenn der eigentliche Geburtstag erst am 15. Dezember sein wird: Die Feierlichkeiten haben begonnen. Wird das Geburtstagskind interviewt, dann spricht das Genie Niemeyer nicht von sich. Er spricht von Bush, der die Welt in eine gefährliche Kriegssituation gebracht hat und wie wichtig jetzt die sozialistische Revolution ist.

Das Niemeyer-Bad in Potsdam wird dagegen nicht gebaut – ein Verlust für Deutschland, aber sicherlich nicht für den Brasilianer Oscar Niemeyer, den wohl berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts (und wie es scheint, auch des Beginns des 21.), der weiterhin 6 Tage in der Woche arbeitet und letztes Jahr wieder geheiratet hat.

Das Bad wäre neben dem Interbau-Hochhaus in Berlin von 1957 das zweite Werk von Niemeyer in Deutschland gewesen, von wo ja seine Vorfahren stammten. Es wäre sicherlich ein Anziehungspunkt geworden, aber was will man machen.

Niemeyer

Oscar Niemeyer ist es gewohnt, von Politikern und anderen, deren Ideologie und Religion der Antikommunismus ist, angefeindet zu werden, denn er ist Kommunist und verteidigt bis heute vehement seine Überzeugungen.

Da sind der CDU-Wirtschaftsminister von Brandenburg, mit Namen Junghans und ein dubioser FDP-Politiker mit Namen Lanfermann nicht die einzigen. Bezeichnend, wenn ausgerechnet ein Politiker der unsäglichen FDP von Grössenwahn bei Architektur spricht, einer Partei, die mitverantwortlich war für die Monumentalbauten des Bundesumzugs nach Berlin unter Kohl .

Werden doch Architekturstudenten aus den verschiedensten Ländern eigens nach Berlin geschickt, um sich ein Beispiel anzusehen, wie Architektur nicht sein darf, die sogenannte Bundesfallera-Architektur, ausdruckslos, einfallslos, ungewollt monumentalistisch, eklektisch, ohne Bezug zum Ort und beziehungslos nebeneinandergestellt.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-3

Die Bauten von Niemeyer dagegen sind ebenfalls Wallfahrtsorte von Architektur-Studenten, aber deshalb, weil man von jedem von ihnen lernen kann, was wirklich gute Architektur ist. Niemeyer gilt als der Meister der Leichtigkeit, was naturgemäss bei Bauten nicht einfach ist.

Die Anfeindungen gegen Niemeyer begannen bereits im Jahr 1940, als die Pläne für die Sankt-Franziskus-Kirche in Belo Horizonte in Brasilien fertig waren. Die katholische Kirche tönte, sie wolle keine Kirche von einem Kommunisten und antikommunistische Politiker erklärten den Entwurf für „hässlich“.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-2

Juscelino Kubitschek, der damals Bürgermeister von Belo Horizonte war, der später der Präsident Brasiliens mit dem grössten Weitblick werden und den Bau Brasilias entscheiden sollte, erkannte die Einmaligkeit des Niemeyer-Entwurfs und setzte den Bau der Kirche durch. Wer heute Architektur studiert und seinen Beruf ernst nimmt, von dem wird erwartet, dass er zumindest einmal hierher nach Belo Horizonte kommt und das Werk im Original sieht, das heute nicht einfach nur als exzellente Architektur, sondern als Kunstwerk angesehen wird.

Die ganze Rückwand der Kirche ist in blauen Fliesen des brasilianischen Künstlers Portinari ausgeführt, das Leben des Heiligen zeigend. Die vier Bögen der Kirche lehnen sich einerseits an die Wellen des Wassers an, denn Franziskus sprach ja unter anderen zu den Fischen. Anderseits sind diese Bögen aber auch eine Nachahmung der Bergkette, an der Belo Horizonte liegt und die der Stadt den Namen "schöner Horizont" gegeben hat.

Nach der Fertigstellung weigerte sich die katholische Kirche für über 10 Jahre, das Kirchlein anzunehmen und zu weihen. Erst als sie merkten, wie berühmt die kleine Kirche schon war, fand sich endlich ein Bischof, der die Kirche weihte.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-4

Ähnliches erlebte Niemeyer in vielen Ländern. Das UN-Gebäude in New York z.B. das auf einem Entwurf von ihm beruht, durfte ihm nicht offiziell zugeschrieben werden, denn man begann gerade den kalten Krieg und konnte unmöglich einen Kommunisten als Architekten des Gebäudes nennen.

Die wohl treffendste Ehrung hat ihm seine Heimatstadt Rio de Janeiro zukommen lassen: Die Strasse in der Stadt am steilen Felsenufer, welche die Strände São Conrado und Leblon verbindet, wurde nach ihm 'Avenida Niemeyer' benannt, einer der landschaftlich schönsten Punkte der Erde.

Der vorletzte dieser zahlreichen Fälle von antikommunistischer Hysterie geschah in seiner Heimatstadt. Niemeyer, dessen Büro im Obergeschoss eines Gebäudes an der weltberühmten Copacabana liegt, hatte als Geschenk an 'seine Stadt' am nördlichen Teil der Copacabana, genannt Leme, eine Anzahl von Skulpturen aufstellen lassen, die auch gut von der Bevölkerung angenommen wurden.

Dann allerdings kam ein Bürgermeister in Rio de Janeiro ans Ruder, dessen Religion Antikommunismus heisst, von der Partei mit dem damaligen Namen PFL (Parteien wechseln in Brasilien den Namen wie unsereiner die Unterhosen), einer Partei, die mit der Militärdiktatur im Bett gelegen hatte. Er ordnete die Entfernung der Niemeyer-Skulpturen an. Sie hätten keine Genehmigung.

Diese Art von Politikern hat immer heuchlerische Ausreden, so wie auch jetzt wieder in Potsdam. Angeblich sei die Förderfähigkeit nicht gegeben. Wenn das so wäre, hätte man das schon vor vier Jahren feststellen können, als noch kein Geld ausgegeben worden war. Also ein vorgeschobenes Argument.

Warum nur gibt es unter unseren heissgeliebten Politikern nicht einen einzigen, der Mut hat, zu seiner Ideologie zu stehen? „Ich habe die Macht, also wird unter meiner Ägide kein Bad verwirklicht, das von einem Kommunisten entworfen würde.“ Das wäre ehrlich gewesen. Aber ehrlich, wer erwartet schon Ehrlichkeit von unsere Politikern?

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-5

Was als moderne Architektur bezeichnet wird, also jene im 20. Jahrhundert, die nicht einfach irgendetwas Älteres nachahmt, begann mit dem ‚Bauhaus’ eines Mies van der Rohe und anderer in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Es handelte sich um einen Gegenentwurf zu jenem verschnörkelten Stil vom Anfang des Jahrhunderts, der auf deutsch als „Jugendstil“ bezeichnte wird, der aber nichts mit Jugend zu tun hatte, sondern der Versuch war, mit Pflanzenformen der Architektur ein „weicheres“, ein menschlicheres Antlitz zu geben.

Die Bauhaus-Architektur, so sehr sie Ausdruck des neuen Zeitgeistes wurde, ist aber auch für die grössten architektonischen Sünden des 20. Jahrhunderts verantwortlich, denn sie wurde in ihrer Baukastenform und in ihrer Schnörkellosigkeit von Hunderten von Architekten nachgeahmt. Die einfallslosen Blöcke, die allenthalben wie Bauklötze in der (Stadt-)Landschaft stehen, sind eine der Folgen davon.

Franziskus-Kirche Oscar Niemeyer-6

Demgegenüber verwenden die modernen Architekten wie Niemeyer und der mit ihm in vieler Hinsicht vergleichbare Franzose Le Corbusier (mit dem er von 1935 bis 1953 zusammenarbeitete) runde und abgerundete und andere ungewöhnliche Formen. Mit der Erfindung des Stahlbetons in den dreissiger Jahren war die Möglichkeit gegeben, runde Formen zu schaffen und grosse Überhänge und ähnliches, was die Möglichkeiten der Architekten immens erweiterte.

Trotzdem klammert sich bis heute die Mehrheit der Architekten an Bauklotz-Formen. Dagegen wurde Niemeyers Hauptwerk Brasilia von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, eine Ehrung, die kaum ein anderer lebender Architekt vorweisen kann.

Nun wird also Deutschland kein neues Niemeyer-Werk haben, aber was schert es den Mond, wenn die Hunde ihn anbellen.

Beeindruckend an Niemeyer auch: Er ist immer noch in voller Aktivität. Hier in Belo Horizonte, wo seine Karriere begann, ist gerade das neue Zentrum der Landesregierung in Bau, das von ihm entworfen wurde.

Oscar Niemeyer 99

Die deutschen Manager, die bereits Menschen ab 50 zum alten Eisen werfen, dürften rot werden, wenn nur sein Name erwähnt wird. Sie haben sich diesen roten Kopf redlich verdient.

Wer noch mehr über Oscar Niemeyer wissen will, hier noch der Link zu seinem Artikel in wikipedia

und zu einem anderen Artikel über ihn:

Niemeyer wird 97 – Auf dem Höhepunkt des Schaffens


Veröffentlicht in der Berliner Umschau am 20. August 2007, hier ergänzt und redigiert

Originalartikel

Mittwoch, 1. August 2007

Flugzeugunglück: Elf Piloten reklamierten am Vortag

Brasilien: Die Piste war rutschig und mit Aquaplanung

Von Karl Weiss

Am Nachmittag des 31.Juli wurde in Brasilien ein ausschlaggebender Fakt durch die parlamentarische Untersuchungskommission zum Luftfahrt-Desaster veröffentlicht: Am Vortag (16.7.07) des Unglücks vom 17. Juli hatten unabhängig voneinander elf verschiedene Piloten offiziell eine Reklamation protokollieren lassen.

TAM Crash São Paulo

Alle bezogen sich auf die Piste der Haupt-Start- und Landebahn des Flughafens Congonhas in São Paulo, wo am darauffolgenden Tag das größte Unglück der brasilianischen Zivilluftfahrt mit 199 Toten geschehen sollte. Alle Reklamationen gingen darüber, die feuchte Piste sei rutschig und/oder es gäbe Aquaplaning bei Regen.

Trotzdem haben die Betreibergesellschaft des Flughafens, die Luftaufsichtsbehörde und die Luftfahrtgesellschaften die Piste nicht schließen lassen - jedenfalls bei Regen. Damit haben sie sehenden Auges das Desaster des folgenden Tages in Kauf genommen.

Nun steht fest: Das Unglück war ein grob fahrlässiger „Massenmord“!

Was viele Beobachter bereits vermuteten, hat sich bewahrheitet (auch wenn noch andere, untergeordnete Ursachen für dieses Luftfahrtdesaster auftauchen sollten): Es ist klar, der Hauptgrund war die Piste, die bei Regen hätte gesperrt werden müssen – schon gar für ein Flugzeug, bei dem die Schubumkehr nicht funktionierte!

Es ist schon klar, zumindest ein weiterer Fehler muss noch hinzukommen, denn das Durchstartmanöver hätte theoretisch funktionieren müssen, aber dies kann nicht mehr von der Hauptursache ablenken.

Reklamationen von Piloten müssen nach den Regeln der Zivilluftfahrt in eine Art Logbuch des Fluglotsen eingetragen werden. Allerdings gehen die Regeln nicht soweit, dass dieses Logbuch öffentlich sein müsste, nicht einmal für die mit der Luftfahrt beschäftigten Seiten.

Allerdings hat der Kommandierende General der brasilianischen Luftwaffe diese Eintragungen gesehen – in Brasilien ist die Luftwaffe für die Luftraumüberwachung zuständig - und hat die entsprechende Seite des Logbuchs der parlamentarischen Untersuchungskommission in Brasiliens Hauptstadt Brasilia zukommen lassen. Dort fand sich glücklicherweise niemand, der diese Information unterdrückt hätte. Im Einvernehmen mit den Kommissionmitgliedern hat der amtierende Kommissions-Präsident sie an die Medien freigegeben.

Im einzelnen wird erwähnt, welche Piloten von welchen Flügen reklamierten. So z.B. der Flugkapitän des Flugs 1879 der Gol, der bemerkte, die Piste „habe wenig Griff“. Dann der Pilot des Fluges 1203 der gleichen Luftlinie, der aufschreiben liess, die Landebahn sei „sehr rutschig“. Gleich danach war es der Kapitän des Fluges 3006 der TAM, der protokollieren liess, die Piste sei „ausgesprochen rutschig und mit Aquaplaning“. Daraufhin wurde eine Überprüfung der Landebahn angesetzt, die aber zum Ergebnis kam, es seien weder Pfützen noch Wasserflächen auf der Bahn.

Unmittelbar danach landete der Flug 4763 der Fluggesellschaft Pantanal dort und rutschte von der Piste, drehte sich um 180 Grad und kam auf dem Rasen zum Stehen, ohne dass sich jemand verletzt hätte.

Die Piste wurde für eine Zeit geschlossen, aber niemand hielt es für nötig, sie bei Regen zu sperren.

Der Präsident der Betreibergesellschaft der brasilanischen Flughäfen, ebenfalls ein General, war gerade in der Befragung durch den Untersuchungsausschuss, als die Nachricht dort ankam. Ein Abgeordneter befragte ihn dazu. Seine Antwort: Es hätte an jenem Tag andere Piloten gegeben, die nicht reklamiert hätten, sondern die Landebahn in perfektem Zustand befunden hätten.

So reagieren Leute, die wissen, sie haben 199 Menschenleben auf dem Gewissen.

Was sind die Gründe für so viele Irrtümer?

- Die Flugaufsichtsbehörde und die Regierung tat nichts, um die Landebahn oder den Flughafen zu sperren, denn sie war sowieso schon unter starkem Druck durch die gigantischen Verspätungen und Flugausfälle, die hauptsächlich durch defekte und veraltete Luftüberwachungsgeräte und andere Zeugen der mangelnden Investitionen der letzten Regierungen Brasiliens in die Infrastruktur der Ziviluftfahrt verursacht waren.

- Die Betreibergesellschaft der Flughäfen wäre ebenso unter stärksten Druck geraten, wenn sie noch mehr Verspätungen und Flugausfälle verursacht hätte. So entschied sie lieber einen Unfall zu riskieren.

-Die Fluglinien mussten sowieso schon Profit-Einbussen hinnehmen, denn die massiven Verspätungen und Flugausfälle hatten ihnen bereits Passagiere genommen. So waren auch sie zu jedem Risiko bereit, um noch massivere Verluste zu vermeiden.

So ist das mit dem Fluch der bösen Tat (in diesem Fall mangelnde Investitionen in die Zivilluftfahrt der letzten Regierungen), die immer neues Böse muss gebären: In diesem Fall eine Flugzeugkatastrophe mit 199 Toten!


Veröffentlicht am 1. August 2007 in der "Berliner Umschau"

Originalartikel

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