Medien

Montag, 16. Juni 2008

Kann Springer Kriege verursachen?

Die letzten Hemmungen fallen

Von Karl Weiss

„Die letzten eventuell noch gültigen Regeln des Mindest-Anstandes werden nun übertreten, nichts ist mehr unmöglich – alles erlaubt!“ Das ist nicht etwa das Lamento eines rückständigen Spiessers, sondern die nüchterne Beschreibung der heutigen Medienszene. Wie die meisten schon gehört haben, hat der Springer–Verlag seine polnischen Hetzblätter gegen die deutschen und sein deutsches Hetzblatt Bild gegen die Polen in Stellung gebracht und versucht, in beiden Ländern nationalistische Gefühle zu wecken und auf einen Krieg gegen das jeweils andere Land zu orientieren. Als Vorwand diente dazu die Fussball-EM und das Eröffnungsspiel Deutschland-Polen, aber der tatsächliche Inhalt war Völkerhetze.

ambulancehit
Auch im Krieg gibt es keine Hemmungen mehr: Ambulanzwagen im Libanon, getroffen von einer israelischen Luft-Boden-Rakete im Libanonkrieg 2006

So liess der Springer-Verlag sein polnisches Boulevard-Blatt `Super-Express` ausdrücklich nicht einfach nur über Fussball sprechen, sondern bezog sich auf die Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1410 und liess Bezug nehmen und auf die deutsche Niederlage von 1945. Die Zeitung «Dziennik» (Axel Springer Polska) zitierte einen Spieler: «Dieser deutsche Panzer stört mich nicht. Ich werde gern mit ihm zusammenstoßen ... Deutsche, wir werden Euch aufessen»

«Super Express» druckte eine Fotomontage ab, die Polens Nationaltrainer Leo Beenhakker zeigt. Mit grimmigem Gesichtsausdruck hält er die beiden abgeschlagenen Köpfe von Jogi Löw und Michael Ballack in den Händen. Dazu die Überschrift: «Leo bring uns die Köpfe!»

Fisk Iraq 'Terrorist' 5

Dann lässt Springer die deutsche Abteilung der Blätter anworten, aus denen Blut läuft, wenn man sie schräg hält: Bild beginnt gegen Polen zu hetzen: „«Das ist widerlich!» mit dem Aufmacher: «EM-Krieg gegen uns! Hetze gegen unsere EM-Mannschaft» und «Die Polen, unser 1. Gegner, führen einen schmutzigen Fußballkrieg!» und «Die Giftpfeile der Polen». Dass „die Polen“ Springer heissen, unterschlägt man natürlich.

Dann lässt man auf der östlichen Seite nachlegen: Springers Blatt ‚Fakt’ stellt die absurde These auf, die deutsche und österreichische Mannschaft hätten durchblicken lassen, sie würden im letzten Gruppenspiel „das richtige Ergebnis“ einstellen können, um Polen draussen zu lassen. Unter dem Titel »Die Deutschen und Österreicher wollen uns verarschen« schreibt sie über eine angebliche Verschwörung: »Skandal! Unser Gegner macht keinen Hehl daraus, dass sie sich auf das Ergebnis ihres Spieles einigen können. Diese Abmachung wäre für uns keine Überraschung.«

Bild eines nackten Gefangenen in "Stress-Haltung"

Darauf lässt Springer dann wieder die Bild reagieren: „Es wird immer irrer“ heisst die Schlagzeile – und „Polen werfen uns EM-Betrug vor!«, sowie: Die »nächste Attacke« der Polen, »Ungeheuerlich!«

Nun, weder hat es Springer geschaftt, einen Krieg vom Zaum zu brechen, noch waren die Ereignisse um und während des Spiels in Klagenfurt kriegerisch, aber dies war trotzdem eine Premiere: Niemals bisher hatte es ein Medienkonzern gewagt, auf beiden Seiten Kriegshetze zwischen zwei Ländern zu inszenieren – selbst wenn die Besitzverhältnisse von Verlagen einfach festzustellen sind.

Uranpreis

Das belegt: Die letzten Hemmungen sind gefallen, das letzte bisschen Schamgefühl wurde abgelegt.

Der Kapitalismus schafft in schnellem Rhythmus neue Probleme: Die Ölpreissteigerungen, der US-Immobilien-Crash, die beginnende Welt-Wirtschaftskrise, die Dollar-Schwäche, die Lebensmittelpreis-Erhöhungen, der sprunghaft gestiegene Armut und Hunger in der Welt, die ständig steigenden Temperaturen der Athmosphäre mit Tendenz zur Klimakatastrophe, das Artensterben, die Versäuerung der Meere, der Goldpreis, der Uranpreis, der steigende Meeresspiegel, die Vernichtung der Regenwálder, Tausende von toten Kindern durch Elend pro Tag und ...und... und...

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Er hätte schon abgeschafft werden müssen, er kann kein einziges Problem mehr lösen, aber schafft ständig neue Probleme. Er ist in Zersetzung begriffen, alle moralischen Werte, die zu Beginn des Kapitalismus die Kapitalisten gegenüber den dekadenten Vertretern des Feudalismus so überlegen machte, sie zerfallen zusehends, fast stündlich.

Kannte man damals noch die „Regeln rechtschaffener Kaufleute“, so sind die nun zum Hintertreppenwitz verkommen.

Schill beim Koksen

Was , damals durfte man keine Millionen annehmen von der Grossbank, um dafür zu sorgen, dass der Konzern, dem man vorsteht, an den Kandidaten der Bank verkauft wird? Lächerlich!

Was, damals war es nicht angebracht, ein Loft in einer nahen Stadt anzumieten, wie man sich, seinen Managern und natürlich dem Betriebsratsvorzitzenden regelmässig rauschende Feste mit Prostituierten verschafft, einschliesslich aus Brasilien eingeflogenen? Waren die denn blöd?

Brasilianischer Karneval: Tänzerin auf dem Festwagen

Was, damals war es verpönt, sich Geschäfte zu sichern, indem man Offizielle des jeweiligen Landes und Manager der Kunden-Konzerne besticht? Meine Güte, wie rückständig!

Zumwinkel

Wie, damals bezahlte man als Grossverdiener noch Steuern, obwohl es doch die bekannten Steueroasen wie Liechtenstein usw. gibt? Fehlende Kleverness!

Damals musste man Parteispenden noch angeben? Hahahaha! Heute lässt man sie vom Parteisekretär, der später dafür Innenminister wird, in schwarzen Koffern über die Grenze bringen und verwendet sie nur für jene in der Partei, die einen unterstützen. Das dies korrekt ist, bestätigen einem später die Gerichte!

Filbinger und Kohl

Grosse Telefon-Konzerne hörten damals noch nicht die eigenen Manager und Aufsichtsratsmitglieder ab? Handelsriesen spionierten nicht ihren Angestellten mit Video-Kameras nach? Ja, das waren eben noch Zeiten ohne moderne Technik. Heute kann man alles!

Gab der junge, aufstrebende Kapitalismus der Menschheit noch die hochfliegendsten Hoffnungen, denn er kam zusammen mit der Aufklärung, so sind alle deren Werte heute obsolet.

Abu Ghraib 7-35
Abu Ghraib: Schwer verletzter, nackter Gefolterter

Was, damals war Folter verboten? Was für ein Unsinn!

Irak: Weinendes blutbeflecktes Kind, dessen Vater und Mutter soeben von US-Soldaten ermordet wurden

Was, damals durften kleine, arme Länder nicht einfach von den Grossmächten überfallen und zu Protektoraten gemacht werden? Angriffskriege waren verboten? Unverständlich!

Was, damals hatte jeder das Recht auf einen Prozess vor einem unabängigen Richter, mit selbst gewählten Verteidiger und Einblick in die Akten? Zeugen vom Hörensagen waren nicht erlaubt, der Verteidiger musste die Zeugen persönlich befragen können? Man durfte nicht auf unbestimmte Zeit ohne Anklage festgehalten werden? Ohne richterlichen Entscheidung durfte man überhaupt nur kurze Zeit festgehalten werden vom Staat? Welch völlig absurde Regeln!

Wie, wer absichtlich Zivilisten im Krieg tötete (oder Ziviltote biligend in Kauf nahm), wurde als Mörder (oder Totschläger) angeklagt? Wo kämen wir denn da hin, da wäre ja das halbe Militär im Gefängnis!

Ja, zu jener Zeit gab es noch freiheitliche Presseorgane und Zensur war verboten. Heute dagegen gehören fast alle Medien nur wenigen Mogulen, die Zensur durch Einstellung und Entlassung ausüben.

Diese Mogule wissen sehr wohl: Die Zeit des Kapitals ist abgelaufen. Jeder Tag, den der Kapitalismus länger hat, wird er den Erdball stärker mit seinem Verwesungsgestank eindecken.

Er ist in brüllende Dekadenz übergegangen: Die kapitalistische Barbarei.

Nun geht es darum, die Bevölkerung vom Aufstand abzuhalten. Also muss sie mit ständig billigeren Sensationen gefüttert werde, mit Hass gegen alles und jeden erfüllt werden und mit Angst vor allem und jedem, seien es die jungen Ausländer, die Ausländer im allgemeinen, seien es die Dunkelhäutigen, seinen es die Terroristen, die Islamisten oder die Kriminellen. Lasst uns über die Kinderschänder reden, aber nicht die in den Familien! Lasst uns in aufsehenerregenden Grossaktionen Hunderttausende von Konsumenten von Kinderporno verfolgen („Kinder“ sind ja nun bis 18 definiert und wer jünger als 18 aussieht, ist ebenfalls „Kind“).

Und vor allem: Lasst uns Kriege machen. Lasst uns den Hass zwischen Völkern schüren, lasst uns die Massen aufeinander hetzen. Dänen gegen den Islam. USA gegen den Iran. Islamisten gegen den Westen. Iran gegen ... (gegen wen gleich noch?) Und nicht zu vergessen: Polen gegen Deutsche.

Irak-Krieg US-Aggression

Nur so werden wir uns retten können! Die Kriege sind unser Ausweg!


Veröffentlicht am 16. Juni 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Berichtigung zum Artikel

Es muss ein Punkt des Artikels berichtigt werden: Von den drei erwähnten polnischen Blättern sind nur zwei , "Fakt" und "Dziennik" im Besitz des Springer -Verlags, nicht das dritte, "Super Express". Wie aus dem Artikel hervorgeht, ändert das in keinster Weise die Tatsachen und macht deshalb auch die wesentlichen Aussagen des Artikels nicht weniger wahr.

Dienstag, 27. Mai 2008

Bodenhaftung - oder: Wie mache ich einen Politiker schlecht

Die bürgerlichen Medien und Lafontaine

Von Karl Weiss

Die Berichterstattung der „Süddeutschen“ (die sich gerne selbst als ‚Qualitätszeitung’ feiert) über den Parteitag der Linken in Cottbus vom 24. Mai ist ein deutliches Beispiel, wie deutsche bürgerliche Medien in die tiefe Kiste der Demagogie, der gezielten Auslassung, der Verschleierung und der versteckten Andeutungen greifen, wenn es darum geht, unliebsame Politiker schlecht zu machen. Ebenso zeigt sie: Es ist pure Illusion, Bericht und Kommentar trennen zu können.

Süddeutsche - historisches Foto des Redaktionsgebäudes in der Münchener Sendlinger Strasse

Der Artikel, gezeichnet von einem Subjekt namens Denkler, ist nicht als Kommentar gekennzeichnet, sondern steht im Teil der Berichterstattungen, die - nach der eigenen Ideologie bürgerlicher Medien – strikt objektiv und neutral sei. Nun, betrachten wir die Neutralität und Objektivität dieser Berichterstattung:

Die untergründigen Andeutungen beginnen schon in der Überschrift: „Oskar stellt die Überlebensfrage“. Also ist die Linke vom Untergang bedroht, es geht ums Überleben! Was hat Oskar Lafontaine wirklich gesagt? (Nebenbei, hat man bei Schröder auch „Helmut“ geschrieben, oder gilt der Vorname nur für Leute, die keinen Respekt verdienen?) Lafontaine hat einfach die Wahrheit ausgesprochen, die für jede Partei in Deutschland und vergleichbaren Ländern gilt: „...die Linke braucht immer ein eigenständiges Profil. (...)Wenn sie [das] nicht hat, wird sie nicht überleben.“ Ein deutlicher Wink an den rechten Flügel der Partei, immer unterscheidbar zu bleiben von der SPD. Wenn der Titelschreiber daraus macht, für die Linke stünde die Überlebensfrage, so ist das infam – oder sagen wir, reines Wunschdenken.

Was auf keinen Fall in den Artikel darf, ist natürlich, was Lafontaine gesagt hat. Nicht ein einziges zusammenhängendes Zitat von mehr als drei Zeilen aus seiner Rede.

Die nächste Aufgabe: Lafontaine muss als wildgewordener, hartleibiger Trottel dargestellt werden, der nie Kompromisse kennt, sondern immer ALLES will. Nichts einfacher als das: „Die Nato lehnt er ab, solange diese aus seiner Sicht völkerrechtswidrige Kriege unterstützt, und Hartz IV muss weg. Beides Ziele ohne Bodenhaftung...“

Ja, die Bodenhaftung. Was ist denn das? Kontakt zur Realität. Kontakt zum einfachen Bürger. Will also sagen, die Unterstützung der Nato und ihrer völkerrechtswidrigen Kriege, die 70% der Bevölkerung in der Bundesrepublik ablehnen, das ist mangelnde Bodenhaftung. Hartz IV, mit gleicher Mehrheit abgelehnt, das ist Bodenhaftung. Wer das ablehnt dagegen, der hat die Bodenhaftung verloren, der schwebt in den Lüften der Illusionen. Immerhin bemerkenswert, 70% der deutschen Bevölkerung in der Luft.

Wer hat in Wirklichkeit die Bodenhaftung verloren? Die korrumpierte Politikerkaste und die 30% der Bevölkerung, die sie noch (zeitweise) überzeugen kann oder die riesengrosse Mehrheit der Bevölkerung und mit ihnen Lafontaine? Dass man selbstverständlich völkerrechtswidrige Kriege nicht unterstützen darf, dass Hartz IV weg muss, das sind tatsächlich grundlegende Dinge, die nur Ignoranten als verhandelbar ansehen können. Ein bisschen völkerrechtswidrig darf sein? Ein bisschen Hartz IV darf sein?

Ein Student, der zwei Semester Völkerrecht gehört hat, kann bereits einstufen: Der Afghanistan-Krieg ist völkerrechtswidrig. Niemand hat das Recht, ein anderes Land zu überfallen, zu besetzen und dort eine Marionettenregierung einzusetzen, wenn das Land nicht seinerseits vorher andere Länder überfallen hat. Diese Regeln sind einfach und klar und Deutschland hat sie als UN-Mitglied ebenso ratifiziert wie die USA.

Und Hartz IV?.Seit 1948 in die Köpfe der Bundesbürger einhämmern: Nein, wir leben nicht in einem kapitalistischen Unnrechtsregime, wir leben angeblich in einem Sozialstaat. Wer arbeitslos wird, braucht sich keine Sorgen zu machen. Er wird ein Auskommen haben. Die Abgabe dazu ist Pflichtabgabe, nicht etwa freiwillig. Zwangsabgabe - 57 Jahre lang. Und dann nach 57 Jahren darf man das einfach aufheben (das Auskommen, nicht etwa die Abgabe) und die Arbeitslosen in absoluter Armut lassen? Ätsch! Wers geglaubt hat, ist selber schuld! Wer gezahlt hat, ist gelackmeiert! Hahahaha, leichtgläubiges Volk!

Wer hat die Bodenhaftung verloren? Die Hartz IV gemacht haben und sich übers Volk lustig machen? Oder das Volk, das nun in steigender Armut leben muss und selbstverständlich Hartz IV weghaben will?

Die Linke 2008

Aber auch das reicht noch nicht. Lafontaine muss auch noch als brutaler Machtmensch dargestellt werden, der im Zweifelsfall über Leichen geht. Nur kann man das ja nicht so einfach behaupten. Also sagen wir einfach, andere haben es behauptet: „Es ist einiges geschrieben worden im Vorfeld – vor allem über Lafontaine. Dass vielen in der Partei das Alleinherrscher-Gehabe ihres Vorsitzenden nicht passe, vielen sein Macho-Auftreten gegen den Strich gehe.“

Haben Sies gemerkt, wie man das macht? Man nennt nicht Ross und Reiter, aber hat gesagt, was man sagen wollte. Ist aber noch ein wenig schwach. Also tragen wir dicker auf: Wir setzen ein Foto von Lafontaine in den Artikel, auf dem er die Faust zeigt und schreiben drunter: „Oskar Lafontaine: Alleinherrscher-Gehabe, Macho-Auftreten“

Sie glauben es nicht? Sie meinen, die „Süddeutsche“ würde eine solche Schweinerei nicht machen? Sehen Sie selbst.


Veröffentlicht am 27. Mai 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Freitag, 14. März 2008

´Ist doch schön, wenns wärmer wird´

Der Zynismus der ‚Welt’ zur beginnenden Klimakatastrophe

Von Karl Weiss

Die Versuche der Medien, im Auftrag der Erdöl- , Energie- und Autokonzerne die beginnende Klimakatastrophe und den konzern-gemachten Treibhausgas-Anstieg zu leugnen oder zu verniedlichen, nehmen immer kuriosere Formen an.

Amazonas

Den Vogel hat mal wieder Springer abgeschossen, diesmal mit seiner ‚Welt’.

In einem Artikel vom 15. Februar 2008 hat dies Blatt die Stirn besessen, unter der Überschrift „Klimaerwärmung verlängert das Leben“ seine Leser zum Besten zu halten.

Man berichtet über einen kleinen Teil einer Studie der britischen Regierung, in der die Entwicklung der Zahlen von Todesfällen dargestellt wird, die als durch große Hitze bzw. große Kälte verursacht gelten.

Treffende Karikatur

Auch in Großbritannien haben sich die Durchschnittstemperaturen in den letzten Jahren erhöht, was zu mehr Hitzeperioden und weniger extremen Kälteperioden geführt hat. Die Zahl der Toten durch extreme Hitze blieb aber im wesentlichen gleich zwischen den Jahren 1971 und 2003, während die Zahl der durch Kälte verursachten Toten um etwa ein Drittel abnahm.

"Von Kälte verursachte Sterblichkeit ist erheblich größer als die auf Hitze zurückzuführende, sowohl in Großbritannien als auch im übrigen Europa", heißt es in der Studie. Daraus ergab sich, die Zahl der auf extreme Temperaturen zurückzuführenden Todesfälle (nur ein winziger Teil aller Todesfälle) verringerte sich in diesem Zeitraum. Soweit, so gut. Nur hat dies seine Gründe: Zum Beispiel heißt es in der Studie, die Kleidung sei leichter geworden, gegenläufige Zwänge seien gefallen, was die Zahl der Hitzetoten beeinflußte.

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Man merkt schon, diese (im Vergleich zu allen Todesfällen) geringe Veränderung hat nichts mit den Klimaveränderungen zu tun. Erst recht hat dies natürlich keinen Einfluss im Sinne einer „Verlängerung des Lebens“. Es werden hier schlicht und einfach Daten dazu missbraucht, den Eindruck zu erwecken, es handele sich bei der beginnenden Klimakatastrophe um geringfügige Erwärmungen, die sogar als positiv angesehen werden könnten.

Im Artikel wird dann auch gleich eine Umfrage gestartet, um zu überprüfen, ob die Lügenpropaganda gefruchtet hat. Man gibt auf die Frage, was man vom Klimawandel halte, vier mögliche Antworten:

- Klimawandel gibt es nicht

- Ist doch schön, wenns wärmer wird

- Ja, das kann nicht gut sein

- Der Klimawandel ist doch schon da

Grönland Erwärmung Überblick - Kartenausschnitt

Grönland-Erwärmung-Stand-1985

Grönland Erwärmung Stand 2002

Gehorsam antworten denn auch die von Springer im Kopf verdrehten Leser:

- 53% : Klimawandel gibt es nicht

- 22%: Ist doch schön, wenns wärmer wird

- 4%: Ja, das kann nicht gut sein

- 21%: Der Klimawandel ist doch schon da.

Das ist ungefähr so, als würde man angesichts eines kommenden dritten Weltkriegs erklären, es gäbe ja sowieso zuviel Menschen auf der Erde.

Das wird an Zynismus nur noch übertroffen von Sarrazins € 3,68-pro-Tag-Rezepten.

Die bereits in den ersten Auswirkungen zu spürende Klimakatastrophe ist in keinster Weise charakterisiert durch einen geringfügigen generellen Temperaturanstieg ohne jede andere Auswirkung – auch wenn dies an einigen wenigen Orten der Erde bisher die einzige Veränderung gewesen sein mag.

Was hier interessant ist, ist die schwarze Linie (Beobachtung). Sie zeigt einen völlig von den vorherigen Scwankungen abweichenden, unaufhaltsamen Anstieg der Temperaturen in letzter Zeit.

Es gibt sogar Plätze, wo es für eine Zeit im Schnitt kühler wird. Im wesentlichen ist die Klimakatastrophe aber charakterisiert durch die generell viel höhere Energie, mit der alle Wetterabläufe ausgerüstet sind. Die Hitzewellen werden heisser, die Winde werden stärker, die Unwetter zerstörerischer, die Niederschläge intensiver, die Trockenperioden endloser usw.

Dazu kommen weitere mögliche Effekte wie der Anstieg des Meeresspiegels, die grundlegende Veränderung ökologischer Gleichgewichte und die Veränderung von Meeresströmungen.

Am Ende läuft der katastrophale Effekt der Klimakatastrophe auf die Verringerung und das Verschwinden von Trinkwasser und auf die Veringerung und das Verschwinden der pflanzlichen Oberfläche der Erde hinaus. Dies würde im fortgeschrittenen Stadium für den grössten Teil der Menschheit das Überleben unmöglich machen, wenn die Entwicklung nicht schnellstens gestoppt wird.

Die fünf wärmsten Jahre seit 1890

Angesichts dieser Gefahr zynisch mit Worten zu spielen, wie „Ist doch schön, wenns wärmer wird“ ist wirklich absurd. Der Springer-Verlag versucht – um mit Erich Kästner zu sprechen – uns den Kakau zu trinken zu geben, durch den er uns zieht. Man muss schon ein Springer-Blatt sein, um es auf dieses Niveau zu schaffen.

Veröffentlicht am 14. März 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Dienstag, 11. Dezember 2007

Hochmut kommt vor dem Fall

Höchste Arroganz: Die "Qualitätszeitungen"

Von Karl Weiss

In einem Rundschlagartikel der höchsten Arroganz hat die „Süddeutsche“ zum Gegenschlag gegen das Internet ausgeholt, das – wie sie sehr wohl bemerkt hat – die Mainstream-Medien wie die „Süddeutsche“ scharf kritisiert. Doch der Artikel verwendet kaum Argumente – und wo er sie verwendet, belegt er sie nicht. Er wirft mit Allgemeinplätzen um sich („Qualität“, „Amateure“), ohne sie mit Inhalten zu füllen.

Die bürgerlichen Massenmedien, üblicherweise „Mainstream-Medien“ genannt, kommen in den Kommentaren und Blogs des Internet nicht immer gut weg – und das hat gute Gründe. In einem Artikel der „Süddeutschen“ heißt es, im Internet gelte der Mainstream als „korrumpiert, hierarchisch, hirngewaschen, langsam und überaltert“.

Die "Süddeutsche" hat einen gewissen Bernd Graff damit beauftragt, mit den „idiotae“ und „Narren im Netz“ im Internet fertig zu werden in einem Artikel vom 8. Dezember 2007 unter der Überschrift „Die neuen Idiotae“, was ja offenbar nicht schwer ist, denn es handelt sich ja, wie er ohne alle Angst vor Verleumdungsklagen erklärt, um Idioten, die im Internet schreiben.

Interessant, dass er genau dies den Schreibern im Internet vorwirft. Dort findet man, so konstatiert er, „ein Panoptikum an Rufschädigungen, Beleidigungen, Verleumdungen und übler Nachrede“. Interessant, Herr Graff – und wie ist es mit den „idiotae“, den „Idioten“, als die Sie alle Schreiber im Internet bezeichnen (ich weiss, Sie haben nicht ausdrücklich "alle" gesagt, aber nicht eine Ausnahme erwähnt, also sind es alle), auch wenn Sie es auf lateinisch machen, damit es ein wenig gelehrt aussieht?

Da es ja so leicht ist, hat er sich auch nicht die Mühe gemacht, viel an Argumenten aufzubringen bzw. seine Argumente zu belegen. Er bringt es fertig, in seinem Artikel auf fünf (Internet-)Seiten insgesamt drei Argumente zu bringen, die halbwegs einen Versuch aufweisen, belegt zu werden. Als erstes greift er die Internet-Foren auf. Er schriebt, dort gebe es einen „Debattierklub von Anonymen, Ahnungslosen und Denunzianten“. Nur? Er vermeidet das Wort ‚nur’, das ist dem Professionalismus seiner Journalistenausbildung zu verdanken, aber da er niemand anderen erwähnt, ist es eben das! Wie ist es nun mit den „Rufschädigungen, Beleidigungen, Verleumdungen und übler Nachrede“, die Ihnen am Internet so aufgefallen sind, Herr Graff? Wenn Sie die betreiben, dann ist es „Qualität“?

Er beschriebt, was wir alle kennen, jene „Trolle“in den Foren, die einen tatsächlich ziemlich ärgern können. „Querulanten und Leute mit seltsamen Präferenzen. Freizeitaktivisten mit ein bisschen Schaum vor dem Mund.“ Er erwähnt aber mit keinem Wort, diese machen kaum 10% der Diskutanten in den Foren aus, in vielen Foren nicht einmal 1%.

Wenn man gezielt den wesentlichen Teil einer Information weglässt, um zu einem falschen Schluss zu kommen, so nennt man das Lügen mit Halbwahrheiten. Genau das macht er. Das ist dann wohl ein Beispiel der überlegenen Qualität der Massenmedien wie der „Süddeutschen“?

Und zu welchem Schluss kommt er? Die Foren seien ein „Absurditätenstadl“. Nur hat er das nicht belegt. Das wäre nämlich nur der Fall, wenn die Trolle die Foren ausmachen würden, was sie aber nicht tun. Damit hat er uns ein profundes Beispiel von „Qualitätjournalismus“ geboten.

Als zweites nimmt er Wikipedia auseinander – glaubt er jedenfalls. Er bezieht sich auf einen der Mitbegründer (von Hunderten) von Wikipedia, der dem Stress, eine Enzyklopädie zu redigieren, nicht mehr gewachsen war und nun mit den (unbestreitbaren) Fehlern in Wikipedia hausieren geht. Er will sogar einen Wissenschaftler kennen, der ausdrücklich davon abrät, Wikipedia zu benutzen, weil man dann im Examen eventuell Falsches zur Hand hat.

Nun, er hat auch hier wieder eine Halbwahrheit verbreitet (nämlich dass Wikipedia Fehler enthält), um zu einem falschen Schluss kommen zu können. Die andere Seite der Medaille hat er nämlich „vergessen“ zu erwähnen, nämlich die Tatsache, dass alle Enzyklopädien Fehler enthalten. Alle vergleichenden Untersuchungen von anderen Enzyklopädien mit Wikipedia haben klar ergeben, die Fehlerquote ist im wesentlich etwa gleich hoch. Ber der letzten Untersuchung, die speziell den deutschen Brockhaus und die deutsche Version von Wikipedia vergleicht, kam die Internet-Enzyklopädie sogar deutlich besser weg.

Die Gründe sind ziemlich einfach. Die Qualität einer Enzyklopädie hängt im wesentlichen von der Auswahl der Autoren ab. Ein Brockhaus zum Beispiel ist aber ein Unternehmen, dass Profit abwerfen muss und kann daher nur wenige Redakteure beschäftigen, die mögliche Autoren ausfindig machen und dann festlegen, welcher Autor ein bestimmtes Sprichwort schreibt oder ob eine Mischung von Texten von Autoren verwendet wird.

Wikipedia hat den Vorteil: Für viele Themen melden sich eine Menge Autoren, die dann um die beste Version eines Textes ringen, obwohl man keinerlei Entgelt für diese Tätigkeit bekommt. Andererseits haben die traditionellen Enzyklopädien schon viele, viele Jahre Erfahrung und damit einen anderen Vorteil. Beide kommen am Ende in ungefähr auf ein Unentschieden hinaus.

Das ist allerdings nicht die Diagnose von Herrn Graff, dem „Qualitätsjournalisten“. Er war vielmehr auf der Basis jener Halbwahrheit zum Schluss gekommen, Wikipedia könne keine Qualität bieten, weil sie umsonst sei. Was umsonst ist, kann keine Qualität haben. Das ist allerdings ein alter Leitsatz der Kapitalisten, womit sie begründen, dass sie nie etwas umsonst hergeben. Nun – wir wissen inzwischen, nicht nur der Kapitalismus ist überholt, auch jener Leitsatz. Wikipedia ist der beste Beweis.

Als drittes – und nun kommen wir natürlich dem Schreiber dieser Zeilen näher -, wird die Bloggospäre ins Visier genommen. Hier macht er sich nicht einmal die Mühe, noch auf irgendein konkretes Beispiel einzugehen. Die Blogger sind vorverurteilt. Sie sind „Menschen, die lediglich neue technische Möglichkeiten nutzen, etwa um ihre Poesie-Alben zu veröffentlichen oder um ihrer Trauer über kaputte Computer Ausdruck zu verleihen“, sie bewiesen „sich in einem Blog selbst, dass er ja bloggt, also irgendwie noch lebt“.

Das ist immerhin schon etwas anmassend, zu sagen, die Blogger würden bestenfalls noch „irgendwie“ leben – aber das passt natürlich zum ganzen Artikel. Dass er auch nur irgendwelche Beispiel bringt oder Argumente oder sonst belegt, was er hier generell über die Blogger sagt, hat er natürlich nicht nötig, er ist ja ein „Qualtätsjournalist“. Nein, er geht gleich noch einen Schritt weiter und sagt über die Schreiber im Netz, sie wollten „eine Rolle in der allgemeinen Informationsbildung übernehmen, ... weil sie sonst keine Beschäftigung haben“.

Auch hier ein Schlag unter die Gürtellinie. Blogger, das sind die faulen Arbeitslosen, die sich zudem noch Hartz IV erschleichen, nicht wahr? So kommt er denn nun endlich auch zur Sache, als er über „user generated content“ lästert, „der der nicht selten ein "Loser Generated Content" ist“ (looser schreibt man übrigens mit zwei o, mein Herr „Qualitätsjournalist“).

Da sind wir denn auch schon beim Punkt, denn er kommt zu den generellen Schlussfolgerungen. Den Schreibern im Internet, den Idioten also, den „loosern“, den Leuten, die sich irgendwie beweisen müssen, dass sie „irgendwie“ noch leben, können selbstverständlich nicht die „Meinungsführerschaft beanspruchen“. Das steht nur den bürgerlichen Massenmedien zu, so wie sie der Herr Graff repräsentiert, denn im Netz ist „Fehlinformation, Denunziation und Selbstdarstellung das Tagesgeschäft der Laufkundschaft“.

An unbegründeten Pauschalurteilen fehlt es nun wirklich nicht im Artikel des „Qualitätsjournalisten“. Würde man ihm mit einer solchen Ansammlung an Vorurteilen und hochmütigen Abqualifizierungen in einem Internet-Forum begegnen, man hätte den klassischen Fall eines Trolls vor sich und die Gemeinschaft der Foren-User würde ihn schnell brandmarken.

„Ahnnungslose und Denunzianten“, „Häme, Verächtlichmachung, Hohn und Spott“, das alles, was er im Internet findet, fällt mit diesem Artikel auf ihn selbst zurück.

Da wird es dann am Ende schon echt peinlich, dass er nun darauf bestht, seinesgleichen, die echten Journalisten in den bürgerlichen Massenmedien, würden eben „Qualität“ liefern, während das Internet ein „Kult der Amateure“ ist.

Ja, er ist so verliebt in den Begriff „Qualität“, weil er ihn ja nicht mit Inhalt füllt, dass er sich zum Ausruf versteigt: „nein, ihr Lieben, [der Qualitätsgegensatz] besteht!“

Ja, er besteht, so wie im Artikel von Herrn Graff, nur liegt die Qualität hier beim Internet und die „Idiotie“ beim Mainstream!

Ja, er geht sogar so weit, die Demokratie für den Bereich der Information ausdrücklich für unbrauchbar zu erklären: „Was aber wiegt dann mehr? Dass das immer elitäre Denken der Mainstream-Medien im Zweifel undemokratisch ist? Oder, dass daraus Qualität entsteht?“ Nur ist der Gegensatz zu Demokratie Diktatur, nicht Qualität – und so verwundert uns denn auch die mangelnde Qualität seines Artikels gar nicht mehr. Wer unumschränkter Herrscher ist (Diktatur), braucht keine Qualität, er erklärt sich selbst einfach zur Qualität.

Aber nehmen wir doch nicht nur den Artikel von Herrn Graff, der ist ja nun wirklich grottenschlecht, was man nicht über alle Artikel der „Süddeutschen“ sagen kann. Lassen wir ebenfalls die Beispiele der Bild, der britischen „Sun“, des „Spiegel“ oder der Wiener „Kronenzeitung“ zur Seite, wo uns Herr Graff ja nun wirklich mal die Qualität hätte zeigen müssen, nein, nehmen wir ein typisches Beispiel aus jüngster Zeit zu einem vielbeachteten Thema und die „Süddeutsche“ selbst.

Vor einigen Wochen liess die Polizei in Deutschland eine Zelle von (vermutlichen) Terroristen auffliegen. Einige Personen wurden im Sauerland festgenommen. Die Süddeutsche berichtete, indem sie die Behauptungen der Innenminister, der Bundesanwaltschaft und des BKA wiederholte, ohne auch nur in einem einzigen Punkt nachzufragen, ohne die geringste Sachkenntnis zu haben noch sich Informationen bei Experten einzuholen. Angeblich hätten die vermutlichen Terroristen mit Wasserstoffperoxid einen höchst gefährlichen Sprengstoff herstellen wollen und seien kurz vor der Ausführung von Attentaten gestanden. So sagte es der BKA-Präsident und so stand es in der Süddeutsche, nicht als Zitat, sondern als Tatsache. Man wollte die bundesdeutsche Bürgerschaft auf das Streichen bürgerlicher Grundrechte einstimmen.

Es blieb dem Internet vorbehalten (in diesem Fall dem Artikel des Berichterstatters im Internet), klarzustellen, dass man mit Wasserstoffperoxid (mit oder ohne andere Komponenten) keinesfalls einen funktionierenden und handhabbaren Sprengstoff herstellen kann. Die „Sauerland-Terroristen“ konnten also keineswegs Attentate durchführen.

Wo lag also nun „Qualität“und wo lag „Amateurismus“?


Veröffentlicht am 10. Dezember 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Erratum

Wie um mich zu widerlegen und dem kritisierten Journalisten doch Recht zu geben, habe ich mich mit meinem schwachen English blamiert und behauptet, loser schreibe sich mit zwei o.

Danke für den Hinweis!

Er hatte aber Recht, es schreibt sich mit einem o. Welche Schmach! Ich verspreche, mich im kommenden Jahr für einen English-Kurs einzuschreiben!

So, und jetzt wollen wir sehen, ob er auch ein Erratum über seine Fehler unter den Artikel stellt oder ob er sich nach bewährter Mainstream-Manier als göttlich unanfechtbar gebärdet und nicht mit normalen Sterblichen kommuniziert.

Karl Weiss

Freitag, 28. September 2007

Wenn man einmal die Wahrheit schreibt

"Eine nette Schlagzeile, mehr nicht"

Von Karl Weiss

Aufgeregtheit in Deutschland. Das bekannte Boulevardblatt hat einmal die Wahrheit geschrieben.Wie konnte das geschehen? Betriebsunfall? Das konnte die „Süddeutsche“ nicht auf sich beruhen lassen. Das musste relativiert werden. So textete man: „Eine nette Schlagzeile, mehr nicht.“

Die berühmte Blatt, aus dem angeblich Blut herausläuft, wenn man es schräg hält, hatte eine Studie veröffentlicht, die konkret belegt, was die meisten auch ohne dies schon wussten: Die durchschnittlichen Real-Löhne (also was übrig bleibt nach Steuern, Abgaben und Preissteigerungen) in Deutschland sinken schnell. Inzwischen sind sie, so fand man heraus, auf dem Stand von 1986, vor 20 Jahren, angelangt. Und jeder weiss: Wenn es so weiter geht, werden sie bald in den Siebzigern und dann in den Sechzigern angelangt sein.

Dann wird man in einem Deutschland vergleichbar zu jenem leben, in dem man Käfer fuhr oder Goggomobil und in dem Farbfernseher für viele unerschwinglich waren.

Wie konnte aber auch das sonst so zuverlässige Blatt einen solchen Ausrutscher produzieren? Eigentlich war man mehr gewöhnt an reaktionäre Verdrehungen und Hetze. Die Arbeitenden gegen die Arbeitslosen, die Jungen gegen die Alten, die Deutschen gegen die Ausländer.

Auch erhält man immer seine tägliche Dosis von deutschen Lebenslügen:

- Die von den angeblich hohen deutschen Löhnen, welche die Arbeitsplätze ins Ausland vertreiben (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier Arbeitsplätze und Lohnniveau")

- Die von unbezahlbar hohen „Lohnnebenkosten“ in Deutschland (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier 'Lohnnebenkosten' und Beschäftigung")

- Die von den Deutschen, die angeblich am Aussterben sind (siehe hierzu diesen Artikel:"Sterben die Deutschen aus?")

- Die von der völligen „Vergreisung“ der Gesellschaft, die es unmöglich machen würde, weiterhin vernünftige Renten zu bezahlen (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier Demographie, Renten und Alter 2" und diesen Artikel:"Demographie - Musste das Rentenalter erhöht werden?" )

- Die vom Sparzwang: Es sei einfach nicht mehr so viel zu Verteilen da (siehe dazu diesen Artikel:"Die Legende vom Sparzwang" und nicht zuletzt

- Die von der Demokratie: Die allseits geliebten Politiker seien keine Bande von Profiteuren und Abzockern, sondern würden verantwortlich mit unseren Steuergeldern umgehen (siehe hierzu diesen Artikel:"Leipziger Flughafen wird Drehkreuz für Grosswaffen- und Truppentransporte", diesen Artikel:"Wer hat, dem wird gegeben - Wo unsere Steuergelder hinfliessen", diesen Artikel:"Wohin die Gelder 'Aufbau Ost' flossen", diesen Artikel:"Grundversorgung von 1600 Euro für 6 Millionen billiger als heute" und diesen Artikel:"14 Mrd. Raub an Steuerzahlern")

Der „Ausrutscher“ beim Revolverblatt führte zu hektischen Aktivitäten. Eine davon war ein Artikel in der „Süddeutschen“ gleich am nächsten Tag, um den Eindruck zu vermindern, den die „Enthüllung“ gemacht hatte. Die Studie, so lernen wir aus der Süddeutschen, sei kein „erhellender Beitrag“ zur Abgabendebatte noch zu der über einen Mindestlohn.

Nanu, warum denn nicht? Da kommt man natürlich in Argumentationsnot, denn die Wahrheit hat ja jene unangenehme Eigenschaft: Sie ist wahr.

Also greift man in das Nähkästchen des Demagogen: Man behauptet einfach etwas, was gar nicht gesagt wurde und widerlegt es dann.

„Richtig ist ... , dass der Zeitungsartikel und die ihm zugrundeliegende Statistik in die Irre führen. So wird suggeriert, dass die Menschen heute ärmer wären als 1986. Tatsächlich aber ist die Kaufkraft gleich geblieben.“ schreibt da Herr Hulverscheidt von der Süddeutschen.

Nein, liebe Süddeutsche, nichts dergleichen wurde suggeriert. Es steht da klar und deutlich: Das Realeinkommen ist auf den STAND von 1986 zurückgefallen. Heute ist der durchschnittlich in Arbeit Stehende wieder so arm, wie er 1986 war. Nichts von „ärmer“.

In Wirklichkeit ist diese Statistik sogar im umgekehrten Sinne irreführend, denn in der Statistik ist ja nur von denen die Rede, die Arbeit haben. Damals gab es bei weitem nicht soviele Arbeitslose wie heute (geschätzte 7 Millionen, damals um die 2 bis 3 Millionen) und wer arbeitslos war, bekam damals noch die am letzten Lohn orientierten Leistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe und nicht Hartz IV.

Auch versucht Hulverscheidt den Eindruck, es werde schlechter, zu verwischen, indem er sagt „ ...die Löhne seit Jahren langsamer steigen ...“, sich also auf Nominallöhne beziehend statt Reallöhne, so als ob es noch irgendwelche Steigerungen gäbe und nicht längst alles nur noch zurückgeschraubt wird.

Im Bemühen, die Statistik zu relativieren, entgleitet ihm allerdings auch eine weitere Wahrheit: „Viele Menschen verfügen heute über weniger Kaufkraft als 1986, ... andere dagegen über deutlich mehr.“ Tatsächlich, die Herren in den Vorstandsetagen sacken heute glatt das 50- bis 100fache ein als in den 60ern und immer noch ein Vielfaches im Vergleich mit 1986.

Wie aus gut unterrichteter Quelle verlautet, werden die deutschen Massenmedien bereits nächste Woche wieder eine Wahrheit veröffentlichen. Wer sie findet, darf sie behalten.


Veröffentlicht am 28. September 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Donnerstag, 19. Juli 2007

Todesschuss den Jungterroristen!

Kloakenjournalismus


Von Karl Weiss


Ein geradezu klassisches Beispiel für hetzerischen Kloakenjournalismus a lá B… hat sich Associated Press (AP) an diesem Sonntag geleistet. Man nahm eine Umfrage von Demoskopen der Universität Bielefeld und „interpretierte“ sie nach eigenem Gusto. Es ging darum, die Demonstranten gegen die Politik der G8 noch nachträglich als „gewaltbereit“ und „illegal“ zu denunzieren.

Ob die ursprüngliche Untersuchung des „Zentrums für Kindheits- und Jugendforschung der Universität Bielefeld“ vielleicht sogar sinnvoll war, wissenschaftlich durchgeführt wurde und Ergebnisse gebracht hat, die für die herrschende Politikerkaste eine Lehre sein könnten, geht aus dem Text, wie er bei `yahoo-news` nachgedruckt wurde, nicht hervor.

Mal wieder werden weder der eigentliche Zweck der Untersuchung noch deren hauptsächlichen Ergebnisse vorgestellt. Es wird weder die Methodik angegeben, mit der gearbeitet wurde noch werden die Fragen und möglichen Antworten im Wortlaut vorgestellt. Die Methode z.B., mögliche Antworten vorzugeben und damit die tatsächlichen Meinungen zu verfälschen, wird von seriösen Soziologen strikt abgelehnt.

Befragt wuden 3576 der Teilnehmer an den Protesten in Rostock und Heiligendamm unter 25 Jahre. Nach welcher Methode diese aus den mindestens 80 000 ausgewählt wurden, erfährt man nicht. Vielleicht nach dem Motto: „Wir befragen alle, die ein wenig schräg ausssehen“?

Doch all dies interessiert die Textbereiter von AP nicht. Sie wollen hetzen. Da liest man dann:

„Als Motiv für die Teilnahme am Protest [gegen die Politik der G8-Politiker] gaben 88 Prozent Perspektivlosigkeit an.“ Da werden dann die Protestierer gleich zur „prekären Generation“.

Was? Wie? Wer völlig jede Perspektive verloren hat, geht auf Demos????

Da wird doch eher umgekehrt ein Schuh daraus: Gerade weil man eine Perspektive hat, aber eine andere, als die Herrschenden der G8, geht man hin.

Da man nicht erfährt, wie die Frage war und nicht, wie die Antwort war mit 88%, bleibt dies ein Geheimnis.

Doch das war nur der Auftakt. Jetzt gehts ans Eingemachte: 20% der Jugendlichen hätten sich als linksradikal erklärt. Wirklich? Mit diesen Worten? Das hätte man gern gesehen.

Und dann kommts, worauf man eigentlich hinauswill: Es gäbe eine hohe Bereitschaft unter den Befragten zu illegalen Aktionen, zum Beispiel Angriffen auf Firmeneigentum.

Na ist es denn die Möglichkeit, diese jungen Menschen wollen illegal werden, sogar Firmeneigentum angreifen. Na da muss man doch eingreifen! Eine Generation von Terroristen!!!

Na, da wird doch das Vorgehen der Polizei verständlich, nicht wahr? Da ist es doch nur angebracht, von Internierungslagern zu sprechen wie Schäuble und von „vorbeugendem Todesschuss“. Das sind doch offensichtlich alles „Gefährder“.

Die kleine Nebensächlichkeit, dass man keine Prozentzahl angegeben hat, ebensowenig wie den Wortlaut der Frage oder den der Antwort, bleibt ganz unbemerkt angesichts so klarer Aussagen, nicht?

Hat man vielleicht eine Frage gestellt vom Typ: „Wenn die Freiheit in Deutschland in Gefahr wäre, würdest du dann auch zu illegalen Mitteln greifen, z.B. Firmeneigentum angreifen?“

Wir werden es wohl nie erfahren.

Aber wichtig ist, nun muss irgendetwas getan werden gegen diese jungen Terroristen! War man doch bei „Internierungslagern“ etwas zurückhaltend, weil der Vergleich mit Konzentrationslagern sich natürlich aufdrängen würde. Nun ist es aber klar: Wenn eine ganze Generation von Terroristen heranwächst, dann gibt es keine andere Möglichkeit.

Stasi 2.0

Ebenso war die Sache mit dem vorbeugenden Todeschuss natürlich nicht von allen sehr wollwollend gesehen worden, aber nach diesen Ergebnissen gibt es nun natürlich keine andere Wahl mehr: Todesschuss den Jungterroristen!


Veröffentlicht am 19. Juli 2007 in "Journalismus - Nachrichten von heute"

Originalartikel

Freitag, 30. März 2007

Ein neuer Tiefpunkt der Talfahrt der 'freien Presse'

New York Times berichtet 'staatstragend'

Von Karl Weiss


Was früher einmal eine freie Presse war, was früher einmal sogar manchmal eine gewisse Wächterfunktion über die Politiker und ihre Taten und Untaten ausübte, ist nun auf der Talsohle der Schamlosigkeit angelangt.

Die New York Times berichtete am 27. März 2007 über die Farce eines illegalen Militärtribunals gegen einen von der US-Regierung als Geisel in Guantánamo festgehaltenen offenbar völlig desorientierten Mann aus Australien, als ob es sich um eine korrekten rechtlichen Prozess handeln würde.

Jeder halbwegs verständige rechtmäßig denkende Mensch kann beurteilen, dass dieses Tribunal, das hier über einen vier Jahre lang gefolterten Menschen sich anmaßt zu urteilen, nicht einmal die mindesten – auch nur formalen – Voraussetzungen eines akzeptablen Gerichtsverfahrens aufweist.

Guantánamo Wagen

Was sind die Kennzeichen eines korrekten Prozesses in einem zivilisierten Land, wenn es sich um schwerwiegende Anklagen handelt? Zählen wir hier nur einmal einige von denen auf, die auf die Tribunale gegen Guantánamo-Insassen regelmäßig nicht zutreffen.

- Zunächst wird ein Beschuldigter von dafür befugten Autoritäten, wie z.B. Polizisten, festgenommen und wird dabei auch gleichzeitig belehrt über seine Rechte und darüber, was man ihm vorwirft.

- Als nächstes hat er die Möglichkeit, seine Angehörigen zu benachrichtigen oder sie werden von den Autoritäten benachrichtigt.

- Weiterhin wird ihm die Möglichkeit gegeben, einen Anwalt seiner Wahl zu benachrichtigen und er hat das Recht, mit diesem Anwalt ausreichend und unter vier Augen zu sprechen, um eine Verteidigung vorzubereiten.

- Dieser Anwalt seiner Wahl hat das Recht, alle die Beschuldigung betreffenden Fakten, die in den Prozess eingebracht werden, rechtzeitig vor dem Prozess zu erfahren.

- Seine Inhaftierung wird innerhalb kurzer Zeit (üblicherweise 48 Stunden) von einem unabhängigen Richter überprüft. Der Anwalt hat das Recht, Antrag auf einen ‚habeas corpus’(Freilassung bis zum Prozess) zu stellen. Die Haft wird nur aufrecht erhalten, wenn objektive schwerwiegende Gründe dafür sprechen.

- Die Bedingungen der Haft sind menschenwürdig, das betrifft die Unterkunft, die Hygiene, die Mahlzeiten, den Zugang zu Trinkwasser, die Beachtung der Privatsphäre, die Schlafgelegenheit, Bewegungsmöglichkeiten usw.

- Selbstverständlich ist der Häftling weder unwürdiger oder degradierender Behandlung ausgesetzt noch wird er gar gefoltert.

- Seine Untersuchungshaft darf in der Regel ein halbes Jahr nicht überschreiten.

- Besteht Verdacht auf psychische Störungen, hat er das Recht, von einem unabhängigen Psychiater untersucht und entsprechend dem Untersuchungsergebnis behandelt zu werden.

- Im Prozess hat er das Recht, vorzubringen und als Zeugen zu rufen, was und wen er für richtig hält und wird nicht in seiner Verteidigung beeinträchtigt.

- Er hat jederzeit das Recht, seinen Verteidiger zu wechseln.

- Er hat das Recht auf seinen gesetzlichen und unabhängigen Richter.

- Im Prozess können selbstverständlich keine Aussagen oder Dokumente verwendet werden, die unter Druck oder Folter entstanden sind.

- Ebenso ist selbstverständlich, es werden keine Aussagen akzeptiert, die auf Hörensagen beruhen.

- Alle Zeugen müssen persönlich im Prozess anwesend sein und müssen vom Angeklagten bzw. seinem Verteidiger befragt werden können.

Dies alles sind Mindestbedingungen, nicht etwa überflüssiger Luxus. Zivilisierte Staaten sind geradezu dadurch definiert, dass sie solche Regeln haben und einhalten.

Der CIA spielt auf der grossen Wurlitzer-Orgel

Der geschundene australische Angeklagte David Matthew Hicks, dem man offenbar jeglichen eigenen Willen aus dem Körper gefoltert hat, erklärt sich schuldig, für Al Quaida spioniert und sie materiell unterstützt zu haben.

Welche Meldung! Die New York Times berichtet erbarmungslos, als ob es ein richtiger Prozess wäre, als ob Hicks nicht unter den entwürdigendsten Bedingungen seit vier Jahren ein Dasein fristete, das nicht mehr Leben genannt werden kann.

Die kleine Nebensächlichkeit ist, es gibt keine Organisation, die sich selbst Al Quaida nennt, das ist vielmehr ein CIA-Codewort für eine seiner Unterorganisationen. Daher kann natürlich auch niemand für diese Organisation spioniert haben – wenn man nicht von Spionage für den CIA spricht.

All dies interessiert die New York Times nicht, auch nicht, dass der Angeklagte offensichtlich verwirrt ist. Sie betreibt Gerichtssaal-Berichterstattung, als ob es um ein Scheidungsverfahren ginge. Die Schamlosigkeit hat neue Höhen erklommen.

Karikatur Selbstmord Guantánamo

Wenn es darum geht, das US-Imperium zu unterstützen, dann muss man eben mal darüber hinwegsehen, dass da ein Militär als Richter sitzt, der Befehlen aus Washington gehorchen muss ebenso wie der Verteidiger und der Staatsanwalt, kurz: das ganze nur eine Farce ist.

Man erwähnt sogar, Hicks sei wohl eine „lost soul“, eine „verlorene Seele“, doch bemerkt nicht, dass überhaupt kein psychoanalytisches Gutachten gemacht wurde.

Detainees Guantánamo

Man erwähnt sogar, dass Hicks sagt, er wisse nicht, was er tun solle, doch man kommt nicht auf die Idee, man hat einen mit jahrelanger Folter gebrochenen Menschen vor sich, der nur noch darauf aus ist, seinen Peinigern nach dem Mund zu reden, um nicht gleich wieder in die Hölle zu müssen.

Die Frage der Folter wird im ganzen Artikel überhaupt nicht erwähnt. Man muss aus anderer Quelle erfahren, dass Hicks ausdrücklich betont hat, er sei gefoltert worden, der Richter aber diese Aussage einfach zurückwies. Nichts in der New York Times.

Ist es schon verachtenswert, dass eine Nation, die sich einmal als zivilisiert bezeichnet hat, eine solche Farce als Scheingerichtsverfahren abzieht, so ist es noch bedauernswerter, ein Presseorgan zu sehen, das einmal einen Ruf hatte, nun aber ‚staatstreu’ berichtet – nur nichts gegen die US-Interessen berichten – und die sind nun mal auf Erhaltung des Imperiums über die Welt ausgerichtet, nicht wahr, New York Times?

Siehe auch Artikel: Australischer Guantanamo Häftling Hicks als erster vor US Militärtribunal.

Dieser Artikel wurde am 30. März 2007 in "Journalismus - Nachrichten von heute" veröffentlicht.

Originalartikel

Freitag, 16. März 2007

Naive Umweltschützer geben Massenmedien Stichworte

Brasilien: Urwaldroden für Alkohol?

Von Karl Weiss

In einem Artikel zu Kraftstoffen aus Biomasse greift die „Süddeutsche" erneut eine Sage auf, die bereits geraume Zeit im Blätter- und Bildschirmwald herumgeistert: Das Zuckerrohr für den Alkohol, der bereits 60% aller brasilianischen Kraftstoffe ausmacht, werde auf Gelände angebaut, das dem Regenwald durch Roden oder Abbrennen entrissen würde. Falsch.

In Wirklichkeit sind alle wesentlichen und grossen Zuckerrohr-Anbauflächen in den südöstlichen Bundesstaaten (São Paulo, Minas Gerais, Rio de Janeiro und Espirito Santo) Brasiliens, im südlichen Bundesstaat Parana oder im Staat Bahia angesiedelt, Tausende von Kilometern von den Amazonas-Regenwäldern entfernt.

Regenwald

Zwar gab es auch in diesen Bundesstaaten früher in den Küstenregionen Regenwälder (Mata Atlântica), aber die sind schon seit Beginn des letzten Jahrhunderts weitgehend vernichtet worden, etwa zu 92%, als noch niemand an Alkohol für Autos auch nur dachte.

Die restlichen 8% wurden und werden in keinem Fall in große, industriell bebaute Zuckerrohrfelder umgewandelt. Die meisten großen Zuckerrohr-Anbaugebiete sind im Landesinneren der genannten Staaten, wo es nie Regenwälder gab.

Andererseits sind in den großen Regenwaldgebieten des Amazonas, das betrifft in Brasilien die Bundesstaaten Amazonas, Acre, Rondonia, Roraima, Teile vom Amapá und Maranhão sowie den Norden der Staaten Pará, Tocantins und Mato Grosso, keinerlei große Zuckerrohranbaugebiete bekannt und (noch) keine Alkoholfabriken angesiedelt.

Auch das andere grosse, weitgehend naturbelassene Urwald- und Sumpfgebiet in Brasilien, der Pantanal, an den Grenzen zu Bolívien und Paraguay gelegen, weist keinen großangelegten Zuckerrohranbau auf. Zwar gab es Pläne dafür, die wurden aber vor kurzem fallengelassen. Dort gibt es allerdings eine Alkoholfabrik in Bau.

Die ganze Geschichte mit den Meldungen, die durch die Medien geistern, angeblich würde in Brasilien Regenwald für Zuckerrohranbau zur Alkoholgewinnung gerodet, scheint ursprünglich auf die Artikel eines Deutschen mit Namen Suchanek zurückzuführen zu sein.

Dieser Zeitgenosse rühmt sich in einem Artikel im „Neuen Deutschland" vom 6. März 2006, bereits 1988 in einem Artikel vor dem ‚Alkohol im Tank’ gewarnt zu haben. Er schreibt: „Während Menschen im Nordosten des Landes verhungerten, opferte die brasilianische Regierung die besten Böden und Regenwaldgebiete dem Autofahren mit dem vermeintlichen Biotreibstoff."

Das sind gleich zwei dumme Verdrehungen. Zum einen: Die Tatsache, daß viele Menschen in Brasilien (damals wie heute) hungern, hat sehr viel mit dem Kapitalismus zu tun, in dem wir leben und nichts, aber absolut nichts, mit dem Fehlen guter Böden zum Anbau von Nahrungsmitteln. Die Menschheit hat in diesem Moment die Möglichkeit, für 12 Milliarden Personen genug Nahrung zu produzieren, während wir bisher nur etwa 6 Milliarden Menschen sind. Das Problem ist also eines der einseitigen Verteilung der Reichtümer, die es wesentlichen Teilen der Menschheit nicht ermöglichen, Nahrungsmittel zu kaufen, während andererseits Nahrungsmittel in riesigem Maßstab vernichtet werden.

Das zweite unsinnige in diesem Argument ist die Erwähnung der Regenwaldgebiete. Wie oben schon dargelegt, wurden keinerlei nenneswerte Regenwaldgebiete dem Zuckerrohranbau zur Alkoholgewinnung geopfert. Schließlich schreibt er auch noch von „vermeintlichem" Biotreibstoff, so als ob Alkohol aus Zuckerrohr keine regenerierbare Energie auf biologischer Grundlage wäre.

Liest man ein wenig weiter bei ihm, so sieht man auch, warum dies sein Anliegen ist. Er schreibt: „Es ist der falsche Ansatz, lediglich fossile Treibstoffe durch andere auszutauschen und gleichzeitig die Zahl der Autos weiter zu vermehren. Ressourcen- und Flächenverbrauch werden dadurch nicht geringer, die Luft nicht wirklich besser, nur weil die Tankstellen Palm- und Rapsöl oder Ethanol statt Benzin und Diesel verkaufen."

Zweifellos ist in einer sozialistischen Zukunft die Entscheidung angesagt, ob man wirklich weiterhin den Individualverkehr mit Autos den Vorrang geben will oder ob es nicht angesagt ist, den Verkehr mit sicheren, schnellen und umweltfreundlichen Verkehrsmitteln abzuwickeln, auf Schienen oder schwebend über Schienen, die nicht jährlich Hunderttausende von Toten fordern, nur weil man sich von einem Ort zum anderen bewegen will.

Dieses Zukunftsproblem aber jetzt, im Kapitalismus, gegen die unbedingt notwendige schnelle Ablösung der fossilen Energieträger auszuspielen, ist Unsinn. Man hat sogar den Eindruck, er glaubt, ein solches Umdenken könnte im Kapitalismus stattfinden und sagt im ganzen Artikel kein Wort von der Erzeugung von CO2 , von der globalen Erwärmung, vom Klimawandel und der drohenden Umweltkatastrophe. Ob er davon nichts weiß? Ob er ein Überlebender der Umweltbewegung aus den Siebziger Jahren ist, als man dieses, heute bei weitem dringendste Problem noch nicht erkannt hatte und seitdem keinen Kontakt mehr mit der Wirklichkeit hatte? Wenn er kein völliger Idiot ist oder dies bewußt verdreht, ist er jedenfalls äußerst naiv.

Wie auch immer, er gibt den Energie-, Öl- und Auto-Konzernen und ihren Apologeten die Stichworte, warum bei den Treibstoffen, wie auch bei der Stromerzeugung, alles beim Alten bleiben müsse.

Und so greift denn auch die „Süddeutsche", eines der Lautsprecherorgane dieser Konzerne, begierig und dankbar dies Argument auf. „Das Zuckerrohr für die Alkohol-Gewinnung wird in riesigen Monokulturen angebaut, die intensiv gedüngt und bis zu fünfmal im Jahr geerntet werden. Um Platz für die Felder zu schaffen, wird der Urwald gerodet." schreibt das Monopolorgan im genannten Artikel über den Alkohol in Brasilien.

Zuckerrohrlastwagen in Brasilien mit Alkohol-Fabrik im Hintergrund

Woher man die Information mit dem gerodeten Urwald hat, schreibt man vorsichtshalber nicht, sonst könnte ja jemand dahinter kommen, daß man die Wahrheit verdreht. Das Argument mit den Monokulturen und den Düngemitteln (oft wird auch noch der intensive Gebrauch von Herbiziden und anderen hochgiftigen ‚Ziden’ hervorgehoben) ist allerdings interessant. Wann je hat die „Süddeutsche" gegen den intensiven Gebrauch von Düngemitteln und Monokulturen in der deutschen Landwirtschaft polemisiert? Oder ist es so, daß es nur erhabenen Herrenrassenmenschen zugestanden ist, Dünger und Monokulturen zu verwenden? Die Heuchelei der „Süddeutschen" schreit wirklich zum Himmel.

Und Herr Suchanek gab das Stichwort.

Nun gibt es tatsächlich Gefahren in Brasilien im Zusammenhang mit dem Alkoholprogramm. Zuckerrohr vermag nämlich besser als jede andere Pflanze das Sonnenlicht in die höchstmögliche Menge von Kohlehydraten umzuwandeln, die dann zu Alkohol vergoren werden. Die Methoden, den Alkohol, wie in den USA, aus Mais, oder wie in Schweden geplant, aus Weizen herzustellen, ebenso wie jene mit Zuckerrüben oder der anderen Alternative, Kartoffeln, sind weit weniger ergiebig. Zusätzlich kann man bei Zuckerrohr mehrere Ernten pro Jahr einbringen, zwar keine fünf, wie der Artikel behauptet, aber in der Regel zwei und öfters auch drei.

Brasilien Alkohol Zapfsaeule

Dadurch - und durch den technologischen Vorsprung, weil man schon jahrzehntelange Erfahrung hat - kann Brasilien den Zucker-Alkohol zu heute unschlagbaren Preisen herstellen. Unlängst wurde von den brasilianischen Alkoholherstellern an die Europäische Union ein Angebot von großen Mengen Alkohol zum Einmischen in das europäische Benzin von 25 Eurocent pro Liter abgegeben. Es wurde allerdings nichts aus diesem Geschäft, denn die Ölkonzerne funkten dazwischen.

Da Zuckerohr ja außerhalb der tropischen (und einem Teil der subtropischen)Zonen nicht wächst, die imperialistischen Länder aber außerhalb der Tropen liegen und nicht im Traum daran denken, die Rohstoffe für den Alkohol woanders als im eigenen Land herzustellen, gibt es eine Widersprüchlichkeit. Schon ist ein Grund gefunden, die Sache mit dem Alkohol immer wieder auf die lange Bank zu schieben.

Tatsächlich aber gibt es die Drohung, Zuckerrohr auch in den nördlichen Teilen Brasiliens und in den Ausläufern des Pantanal-Gebietes anzubauen und einen lukrativen Alkohol-Export aufzubauen.

China hat zusammen mit Brasilien an einem Projekt gearbeitet, in dem vorgesehen war, mit chinesischem Geld im Gebiet des Regenwaldes am oberen Xingú (ein anderer Nebenfluß des Amazonas) Zuckerrohranbau anzufangen und eine riesige Alkoholfabrik zu errichten. Das hätte allerdings wirklich bedeutet, daß Regenwald für Alkohol abgeholzt worden wäre. Allerdings waren die Proteste so intensiv, daß man - jedenfalls bis auf weiteres - davon Abstand nahm.

Eine andere Gefahr ist der Gouverneur von Mato Grosso, Maggi, der größte Ziegenbock, der je in der Geschichte der Menschheit zum Gärtner gemacht wurde. Maggi [Ironie, daß wir in Deutschland unter dem Namen Maggi eine Sojasoße kennen] ist der „König der Soja", der größte Sojaanbauer der Welt, der Jahr für Jahr seine Anbaugebiete tiefer und tiefer in den Regenwald im Norden „seines" Staates vortreibt und sagt, dort sei soviel, daß dies kaum einen Unterschied mache. Für ihn wird der Rio Madeira ausgebaut, ein Nebenfluß des Amazonas, so daß in Zukunft die Soja über den Amazonas exportiert werden kann und nicht mehr über den Hafen Paranaguá, was eine 3000 km langen Lastwagentransport überflüssig macht.

Dieser famose ‚Gouvernador’ und 'König' hat offenbar Blut geleckt und scheint mit Planungen zu beginnen, auch Zuckerrohr anzubauen und Alkoholfabriken zu bauen. Dies allerdings ist eine große Gefahr für die brasilianischen Regenwälder - nur war er das auch schon vorher mit seiner Soja.

Und - er ist eben Teil der brasilianischen Oligarchie, die von den imperialistischen Ländern mit aller Macht versehen wird, um sicherzustellen, daß Brasilien nie aufhört, die Zinsen für seine Schulden zu zahlen und immer neue Schulden unterschreibt, während dieser Oligarchie im Gegenzug dafür von den imperialistischen Ländern gestattet wird, unermeßlich reich zu werden.

Gegen diese „Deals" zwischen dem von ihr repräsentierten Imperialismus und den lokalen Oligarchien in den Entwicklungsländern hat man allerdings noch nie etwas gehört von der „Südddeutschen", die vorgibt, sich um die Regenwälder am Amazonas zu sorgen.


Veröffentlicht am 24. Mai 2006 in der "Berliner Umschau", hier geringfügig redigiert. Angesichts der intensiven Kampagne verschiedener Umweltverbände wie z.B. "Rettet den Regenwald" gegen die Bio-Treibstoffe ist dieser Artikel wieder besonders aktuell.


Hier eine Anzahl Links zu anderen Artikeln im Blog zur beginnenden Klimakatastrophe und was man dagegen tun kann:

- Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 1 – Bill Gates und George Soros investieren in Alkohol

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 2 – Was spricht gegen Bio-Kraftstoffe?

- Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 3 – Der 'Rush' gewinnt an Tempo

- Das Klima kann nicht warten – Offener Brief an „Rettet den Regenwald“

- Wie die Industrie der „Global Warming Sceptics“ funktioniert

- Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 4 - Endlich auch Bio-Alkohol in der Bundesrepublik

- Kofi Annan: Keine Gegenargumente mehr

- Brasilien plant völlige Umstellung auf Biodiesel

- Lulas Brasilien, Teil 4 – Abholzen und Abbrennen

- Klimakatastrophe: IPCC-Report klammert entscheidende Frage aus

- Stärkster Hurricane aller Zeiten

- Wie wird der Verkehr der Zukunft angetrieben

- Briefwechsel mit „Rettet den Regenwald“

- Ein deutscher ‚Global Warming Sceptic’

- Klimahetzer? – Klimaketzer? Eine Auseinandersetzung um die beginnende Klimakatstrophe

Freitag, 9. Februar 2007

Ein 'Fake' soll Bedrohung glaubhaft machen

An den Haaren herbeigezogen

Von Karl Weiss

„Anschlag verhindert, Anführer festgenommen“, „Das FBI verhinderte das Attentat, mit dem Wall Street überfluten sollte (sic!).“ So klangen die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse, in diesem Fall die der „Süddeutschen“. Die hatte es eilig mit der Meldung. Da kann man schon mal mit der deutschen Grammatik durcheinander kommen.

Ein gewisser Assem Hammoud sei schon vor einiger Zeit im Libanon festgenommen worden, so wird berichtet. Er habe bekannt, der „Philosophie der Al Quaida zu folgen und einen Gefolgschaftseid auf Osama Bin Laden geschworen zu haben.“ Er habe zusammen mit einer Gruppe einen Anschlag auf den Holland-Tunnel in New York geplant, der Manhattan mit New Jersey verbindet. „Die Explosion hätte New Yorks Finanzdistrikt um die Wall Street mit einer Flutwelle unter Wasser setzen sollen.“

Soviel haarsträubenden Schwachsinn in einer so kurzen Meldung unterzubringen, das dürfte ein neuer Weltrekord sein.

Zunächst einmal gibt es keine Al Quaida, wie Tony Blair bereits vor einem Jahr verkündet hat. Will die bürgerliche Presse Tony Blair der Lüge bezichtigen? Wie kann man also der Philosophie einer Organisation folgen, die es gar nicht gibt?

Wenn der Mann im Libanon in Haft ist, so weiß heute jeder, dort wird gefoltert. Irgendwelche Geständnisse von irgend etwas, die jemand unter Folter abgibt, haben keinen Wahrheits- oder Beweiswert, wie immer bei Folter. Weiß das die bürgerliche Presse nicht? Natürlich weiß sie das!

Wie kann der FBI ein Attentat verhindern, wenn der Mann im Libanon gefasst wurde. Hat der FBI eine Tochterorganisation im Libanon?

Der Holland-Tunnel geht unter dem Hudson-River durch, etwa 20 bis 50 Meter unterhalb des Straßenniveaus des New Yorker Finanzdistrikts. Wenn er gesprengt würde, würde der Tunnel überflutet, aber es gibt keine Möglichkeit für eine Flutwelle, Wall Street zu überfluten. Wasser fließt nach unten. Weiß das die bürgerliche Presse nicht?

Es ist eindeutig: Der angebliche Terrorist wurde so lange gefoltert, bis er eine Schauergeschichte erzählte - und die bürgerlichen Medien verkaufen uns das ohne den geringsten Beweis als Wahrheit!

Warum wagt man es, solche an den Haaren herbeigezogenen Meldungen in Zeitungen zu schreiben und damit den Leser ins Gesicht zu schlagen, so als ob sie Dummköpfe wären?

Weil ein Drohszenario aufrechterhalten werden soll, das imperialistische Überfälle auf andere Länder und den Abbau der bürgerlichen Rechte rechtfertigen soll.

Also noch einmal, zum Mitschreiben: Al Quaida ist der Deckname des CIA für eine ihrer Gruppen gewesen, als Osama Bin Laden dort der Anführer war. Nach Angaben von US-Regierungsstellen hat sich die Gruppe später von ihren Auftraggebern getrennt und eigenständig Anschläge geplant. Das kann so aber nicht stimmen, denn man hätte die Gruppe von Osama Bin Laden schon längst auffliegen lassen können, wenn sie denn, wie behauptet, in Höhlen in den Bergen des Grenzgebietes zwischen Afghanistan und Pakistan haust.

Da man sie nicht hops genommen hat, kann das bedeuten: Entweder, Bin Laden und seine Gruppe werden weiterhin vom CIA gesteuert (oder arbeiten als Doppelagenten) oder man lässt sie absichtlich frei herumlaufen, weil einem die terroristischen Aktivitäten zu Gute kommen oder es gibt die Gruppe längst nicht mehr (was Blair ja gesagt hat).

Viel wahrscheinlicher ist: All das, was Al Quaida zugeschrieben wird, ist in Wirklichkeit auf dem Mist westlicher Geheimdienste gewachsen. Dabei mag man sich naiver und todesbereiter islamischer Gläubiger als Ausführende bedienen, aber die Hintergründe gehen in das Langley-Hauptquartier und andere westliche Stasi-Hauptquartiere.

Bei der ganzen PSYOP („psychologischen Operation“, so nennt nach einer Veröffentlichung der „Washington Post“ der CIA selbst diese Desinformationskampagnen, mit anderen Worten, die Fakes) geht es um das Täuschen der Öffentlichkeit über die wahren Gründe der imperialistischen Kriege und Überfälle im ölreichen Orient.

Auch will man die demokratischen Rechte in den westlichen Ländern abbauen und braucht dazu Drohszenarios. Sonst müsste man ja zugeben, es geht gegen das Aufbegehren der Völker gegen das überlebte System.


Dieser Artikel wurde am 14. Juli 2006 in der "Berliner Umschau" veröffentlicht, hier leicht redigiert.

Dienstag, 6. Februar 2007

Lulas Brasilien, Teil 6 - Pressefreiheit in Brasilien

Wie man den brasilianischen Journalisten Boris Casoy loswurde

Von Karl Weiss

Einer der prominentesten Arbeitslosen Brasiliens ist Boris Casoy, einer der wenigen und letzten Journalisten in den Massenmedien, der Skandale aufdeckte und anprangerte, der ohne Furcht die Kellerleichen von Politikern, bis in die höchsten Ämter, ausgrub und der bis vor kurzem am brasilianischen Fernsehen „gegen den Strich bürstete". Nun erzählt er in einem Interview für das Magazin „istoégente", welcher Druck ausgeübt wurde, damit er entlassen würde, was denn auch zum Ende letzten Jahres geschah.



Er hatte lange bei der ‚Folha de São Paulo’, der grössten brasilianischen Tageszeitung, als Journalist gearbeitet und sich dort bereits einen Ruf als Investigations-Journalist erworben, als er zum Fernsehen wechselte und sich dort beim Sender SBT (das ist der einzige, der dem Großsender Globo zu manchen Sendezeiten noch das Wasser reichen kann) als Kommentator einen Namen machte.

Trat er am Ende der Nachrichten auf, begann die korrupte Politikerkaste Brasiliens zu zittern. „Hat er etwas von meinen Sauereien herausgefunden?". Und oft hatte er. Nachdem er dargelegt hatte, was es zu sagen gab, beendete er seine Kommentare mit einem kräftigen: „Isto é uma vergonha!" „Das ist beschämend!"

Dieser Spruch wurde zu seinem Markenzeichen. Boris Casoy kennen die meisten in Brasilien und sagen dann gleich dazu : „Isto é uma vergonha!" Meistens mußten auch der Sender Globo und die anderen Mainstream-Medien seinen Enthüllungen nachgehen, denn sie erwiesen sich mit großer Sicherheit als richtig.

Politiker in Brasilien machen keine Politik, sondern bereichern sich aus öffentlichen Kassen. Dafür gibt es auch einen Spezialbegriff im Volk: „Picaretas". Spitzhacken. Wie mit Spitzhacken in einer Goldmine hauen sie das Geld aus den öffentlichen Kassen. Der jetzige Präsident Lula, als er noch ein Oppositionspolitiker ohne Chance auf die Präsidentschaft war (und daher noch die Wahrheit sagen durfte), sagte einmal, es gäbe im Parlament in Brasilia 300 Picaretas (von etwa 500 Abgeordneten). Heute ist Lulas Partei PT in einen der größten bisher aufgedeckten Bereicherungsskandal aller Zeiten in Brasilien verwickelt.

Boris Casoy hatte also viel aufzudecken und tat dies. Er war sicherlich der am wenigsten Schuldige, daß fast alle diese Skandale nach einiger Zeit in Zusammenarbeit aller Politiker unter den Teppich gekehrt wurden und niemand (außer der brasilianischen Bevölkerung) zu Schaden kam. Auch dafür gibt es einen populären Spezialausdruck : „Todo acaba em Pizza." „Am Ende gibt es Pizza." Am Ende solcher Skandale gehen alle, Ankläger und Angeklagte, in die Pizzeria und essen gemeinsam.

Allerdings machte er sich natürlich bei den Politikern damit nicht beliebt. Und so begannen sie, Druck zu entwickeln, damit diese letzte (von ihnen) unabhängige Stimme im brasilianischen Fernsehen verstummt. Inzwischen war Boris Casoy schon zum kleineren Sender ‚Record’ gewechselt, der vor einiger Zeit von der größten der erfolgreichen evangelischen Wiedertäufer-Sekten Brasiliens aufgekauft worden war, der „Universal-Kirche des Königreichs Gottes".

Dort war er nicht nur Kommentator, sondern auch Nachrichtensprecher, im Wechsel mit einigen anderen. Zwar war seine Stimme dort in den letzten 8 Jahren nicht mehr sehr laut, aber es reichte immer noch, um Politiker zu Wutausbrüchen zu veranlassen.

Hören wir, was er über den Druck berichtet, der gemacht wurde:

„Die Regierung [Lula] übte Druck auf meinen Sender Record aus, mich zu entlassen. Da waren verschiedene Gelegenheiten und am Ende war es Zé [José] Dirceu [damals Lulas Kabinetts-Chef]. Es waren drei Vorgänge, die nach Ansicht der Regierung nicht erwähnt werden dürften:

1. Der Fall Banestado
[Dabei handelt es sich um mehr als 30 Milliarden Dollar ungeklärter Herkunft, die auf Konten in Steuerparadiesen landeten, über deren Eigentümer man keine Kenntnis hat - aber sehr wohl die Ahnung, es sind Politiker - wobei der Deal über die Staatsbank eines Bundeslandes lief.]

2. Teixeira
[Der ‚amigo’ von Lula, Roberto Teixeira, der ihn seit den Zeiten der Wahl Collors zum Präsidenten aushält. Der ist angeklagt, ein Korruptionsschema entwickelt und geleitet zu haben, das Geld über die verschiedenen Bürgermeister der PT heranschaffte.]

3. Santo André
[Die Ermordung des PT-Bürgermeisters von Santo André, einer der Städte im Bereich Groß-São Paulo. Man weiß nur sicher, daß die offizielle Version, er sei von Gangstern überfallen und ermordet worden, sicherlich nicht richtig ist.]

Ich hatte bei allen dreien [richtig] vorausgesagt, daß es bei ihnen am Ende Pizza gibt."

„Es gabe einen Anruf von Zé Dirceu beim Sender. Die Direktoren teilten mir mit: Er sagte, er wird den Sender und mich persönlich fertigmachen, wenn ich nicht aufhöre. Das war die letzte Drohung in einer Serie davon. Die Drohungen gingen direkt an den Präsidenten des Senders, Dênis Munhoz.

[Bei anderer Gelegenheit] bekamen wir einen Bericht vom Beauftragten des Senders bei Gesprächen mit der Regierung über die Verteilung von Regierungswerbung an die einzelnen Sender. Es sei gesagt worden: „Mit Boris Casoy kann man keine Werbung bekommen."

Man erzählte mir außerdem, daß Gushiken [damals Lulas zuständige Staatssekretär für Fernsehsender] dem Präsidenten von ‚Record’ gesagt hätte: „Das Verhältnis zu euch ist extrem schwierig, solange Boris Casoy da ist."

Auch gab es Anrufe von evangelischen Bundestagsabgeordneten: „Hört mal, der Zé Dirceu hat sich beschwert. Das schadet uns." [Der Sender ist in der Hand der wichtigsten evangelischen Kirche in Brasilien.]

Ein Lehrstück in Pressefreiheit in Brasilien und allgemein im Kapitalismus.

Nun mag vielleicht jemand meinen, das sei Brasilien. In Deutschland gäbe es natürlich so etwas nicht. Tatsächlich braucht es das wirklich nicht zu geben in Deutschland, denn es gibt ja keine bekannten Investigations-Journalisten mehr bei den großen Sendern oder den wichtigen Zeitungen und Magazinen, die entlassen werden könnten. Zwar versuchen manchmal doch unbekannte Journalisten gegen den Stachel zu löken, wie die beiden mutigen Reporterinnen vom ZDF, die 2006 den Fall des Atomstörfalls in Geesthach 1986 wieder aufs Tapet gebracht haben, aber solche Fälle sind selten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der "Berliner Umschau" am 10. April 2006, hier leicht redigiert.

Links zu den anderen Teilen der Serie "Lulas Brasilien":

Teil 1: Terroranschlag - Verdächtige freigelassen

Teil 2: Brasilien und die Sklaverei

Teil 3: Die Liste der Ermordeten wird immer länger

Teil 4: Abholzen und Abbrennen

Teil 5: Brasilianische Regierung von Vatikan-Radio angeklagt

Teil 7: Brasilien grösster Fleischexporteur der Welt

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